Seit es das Deutschlandticket gibt, tourt meine Mutter viel durch die Lande. Ab und zu fährt sie auch nach Berlin. Von Dresden aus muss sie in Cottbus umsteigen, das dauert insgesamt etwas mehr als vier Stunden, und schon ist sie da. Dann machen wir uns meistens auf in die Stadt. Ins Theater, ins Museum, zum Essen gehen. Und manchmal gehen wir auch wandern. Einfach mal raus, irgendwo an die Stadtgrenze Berlins, wo es viel Grün und im besten Fall was zu sehen gibt. Durch Zufall bin ich auf eine kleine, süße Route im Südwesten Berlins gestoßen. Genauer gesagt im Revier Dreilinden. Und die entpuppte sich unerwartet als richtig schön. Aber der Reihe nach…
Dreilinden go!
Wir starten unsere Wanderung am S-Bahnhof Wannsee. Dieser befindet sich bereits in der Tarifzone C des Berliner Nahverkehrs, also in Brandenburg, und ist zum Glück im Deutschlandticket enthalten. Kostet somit nichts extra. Mega.
Von dort führt ein schmaler Weg zur Potsdamer Chaussee, einer vierspurigen Straße mit grünem Mittelstreifen, die wir zügig und vorsichtig überqueren. Mächtig was los hier. Schade, dass es hier keine Ampel oder wenigstens einen Zebrastreifen gibt.
Auf der anderen Straßenseite steigen wir die Stufen einer Holztreppe hinauf in den Wald und schon sind wir mitten im Grünen. Mit jedem Schritt weg von der Straße wird es ruhiger. Und gleichzeitig lauter. Vorbei am alten Jagdschloss Dreilinden, das heute eine Waldschule und die Berliner Forsten beherbergt, nähern wir uns der Schießanlage Wannsee. Hier trainieren sowohl Hobbyschützen als auch Polizisten, und aus der Halle und von den Schießständen schallt es lautstark herüber.
Ein kurzer Schlenker über den Mauerweg
Wir lassen uns davon aber nicht beeindrucken und gehen daran vorbei in Richtung Süden. Hinter dem Schießstand werfen wir noch einen kurzen Blick in den Biergarten der Schützen-Wirtin. Gemütlich unter Bäumen gelegen, ist dies ein recht idyllischer Ort. Wären da nicht die ständigen Schusssalven von nebenan. Das nimmt dem Ganzen leider ein wenig die Gemütlichkeit. Aber wen das nicht stört, der findet hier einen guten Platz für eine erste Pause. Gleich nach dem Start. Kann man schon mal machen.
An der nächsten Kreuzung wenden wir uns nach rechts und folgen damit ein Stück dem Berliner Mauerweg. Das ist mittlerweile ein Fernwanderweg, der immer entlang der ehemaligen Mauer um und durch Berlin führt. Insgesamt ist er gut 160 Kilometer lang, wir laufen einen knappen Kilometer auf ihm.
Und kommen direkt mit seiner Geschichte in Berührung. Eine Gedenktafel am Wegesrand erzählt das Schicksal von Christian Buttkus. Er wurde an genau diesem Mauerabschnitt erschossen, als er mit seiner Verlobten aus dem Osten fliehen wollte. Seine Verlobte überlebte, erfuhr aber erst im anschließenden Prozess von seinem Tod. Er bezahlte seinen Wunsch nach Freiheit mit dem Leben, sie mit einem Jahr und acht Monaten Gefängnis. Mindestens 136 Todesopfer forderte die Mauer zwischen 1961 und 1989, an die hier eindringlich und still erinnert wird. Das ist wichtig. Sehr wichtig. Ein solches Regime darf sich nicht wiederholen.
Auf der alten A115
An der Königswegbrücke wenden wir uns wieder südwärts und steigen gleich daneben eine Engstelle hinab. Dort liegen einsam und verlassen die alten Gleise der ehemaligen Stammbahn. Das war eine Verbindungsbahn von Wannsee nach Stahnsdorf, die in den 1920er Jahren gebaut, aber schon vierzig Jahre später stillgelegt wurde. Warum? Dazu später mehr.
Nach knapp 200 Metern enden die Gleise auch schon wieder und wir laufen durch dichten Bambus hinauf zum breiter werdenden Wanderweg. Und wer hätte das gedacht: Schon stehen wir auf der ehemaligen A115. Diese war bis 1969 die Zubringerautobahn zu Berlin und wurde nach dem Bau der Berliner Mauer einhundert Meter weiter und damit komplett auf das Gebiet der DDR verlegt.
Inzwischen ist die Autobahn renaturiert. Und was soll ich sagen – man erkennt nichts mehr davon. Das ist schon beeindruckend. Nur an der alten Brücke über die ehemals vierspurige Autobahn, die Graffiti-Künstler für sich entdeckt haben, kann man noch ein bisschen die ursprüngliche Nutzung erkennen.
Abzweig Teltowkanal im Revier Dreilinden
Der ehemalige Kontrollpunkt Dreilinden existiert nur noch dem Namen nach. Kurz davor biegt der Weg nach links ab und wir wandern am Campingplatz Kleinmachnow vorbei durch die Siedlung. Der schmale Trampelpfad, dem wir hinter den letzten Häusern folgen, endet ziemlich abrupt und lässt nur noch erahnen, dass hier einmal eine Brücke über den Teltowkanal führte.
Vorsichtig folgen wir einem schmalen Pfad, der von der Anhöhe herabführt und dann nach links abbiegt. Kurz darauf unterqueren wir die heutige A115, auf deren Vorgänger wir gerade gewandert sind.
Und ab hier wird es erst so richtig schön. Entweder folgt man dem breiten Waldweg oder dem Trampelpfad direkt am Kanalufer. Ich stelle meine Mutter vor die Wahl und sie zeigt – wie nicht anders zu erwarten – auf die spannendere Variante. Ja, so kenne ich sie. Fast 80 Jahre alt, aber immer noch um kein Abenteuer verlegen. Mega.
Entlang des Teltowkanals
So kämpfen wir uns durch teilweise zugewachsene Abschnitte, werden aber mit tollen Eindrücken belohnt. Denn auf dem Kanal herrscht reges Treiben. Am gegenüberliegenden Ufer hat ein einsamer Angler sein Lager aufgeschlagen und langsam tuckert ein Schlepper vorbei. Es dauert eine Weile, bis er uns überholt hat. So langsam ist der. Ein leiser Wind rauscht durch die Bäume und wo immer es geht, stecke ich meine müden Füße ins kühle Nass. Baden würde ich in der Brühe trotzdem nicht. Braun ist jetzt nicht die Farbe, die zu einem erfrischenden Bad einlädt.
Kurz vor Kleinmachnow selbst machen wir auf einer Holzbank Rast und schauen entspannt dem Treiben auf dem Kanal zu. Dann nähern wir uns schon wieder städtischem Gebiet und kommen mit einem architektonischen Meisterwerk in Berührung.
Industriedenkmäler noch in Betrieb
Die Schleuse Klainmachnow ist riesig und na klar, immer noch in Betrieb. Nach der Einweihung durch Kaiser Wilhelm II. und der Würdigung durch Theodor Fontane wurde sie schnell zum Anziehungspunkt für die Berliner, die sich in der reizvollen Umgebung von der Hektik der Großstadt erholen wollten.
Das taten sie vor allem am Wochenende und am liebsten mit der Straßenbahn. Die Linie 96 fuhr direkt bis zur Schleuse. Ein Originalwagen ist noch heute in unmittelbarer Nähe zu bewundern. Betreut von einem kleinen Verein, trifft man meist am Wochenende jemanden, der die Türen der Straßenbahn öffnet und bereitwillig Auskunft gibt. Es ist schon etwas Besonderes, in das über 100 Jahre alte Gefährt einzusteigen. Im Originalzustand erhalten und liebevoll restauriert, ist sie ein echtes Kleinod auf dieser Tour.
Auf dem Treidelpfad am Kanal
Auf der anderen Uferseite gehen wir den Treidelpfad bis fast zur Autobahnbrücke zurück. So kann ich auch den Angler fragen, den ich schon vom anderen Ufer aus beobachtet habe. Nein, sagt er, er habe heute nichts gefangen. Das Wetter lasse es nicht zu, die Fische seien wohl zu träge. Enttäuscht, aber entspannt packt er seine Sachen zusammen und verlässt den Ort in entgegengesetzter Richtung.
Wir steigen die Böschung neben der Autobahn hinauf und befinden uns wieder auf der Trasse der alten Stammbahn. Dieser folgen wir, bis sie plötzlich vor einer Informationstafel endet. Hier wird uns die Bedeutung dieser Bahnlinie erklärt. Weil die Berliner Friedhöfe in den 1920er Jahren zu klein geworden waren und eine Erweiterung kaum mehr möglich war, baute man vor den Toren der Stadt einen ganz neuen Friedhof – den Südwestkirchhof Stahnsdorf im Revier Dreilinden. Und die Eisenbahn brachte Särge und Trauergäste dorthin. Eine Friedhofsbahn sozusagen. Schon etwas unheimlich das Ganze.
Ankunft in Stahnsdorf
Wir folgen dem Weg ein Stück nach rechts, machen kurz darauf einen weiteren Schwenk nach Süden. Und stehen kurz darauf vor dem Eingang zum Stahnsdorfer Friedhof. Den sollte man auf jeden Fall besuchen, denn er beherbergt nicht nur ein wirklich schönes Kleinod, sondern hier liegen auch Berliner Persönlichkeiten begraben. Auf der Infotafel am Eingang sind die Gräber so berühmter Menschen wie Heinrich Zille, Theodor Fonate oder Friedrich-Wilhelm Murnau verzeichnet. Aber auch mir bekannte Zeitgenossen wie Manfred Krug oder Otto Graf Lambsdorff haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden.
Und mittendrin steht diese echt total schöne Kapelle. Sie wurde 1906 von Baurat Gustav Werner im Stil norwegischer Stabkirchen erbaut und wirkt von außen ruhig und einladend.
Düster und mystisch geht es dagegen im Inneren zu. Wie für die damalige Zeit üblich, versucht sie schlicht und schnörkellos Stille und Besinnlichkeit zu vermitteln. Doch auf mich wirkt sie düster und bedrückend. Schnell verlasse ich ihr Inneres. Von außen macht sie echt mehr her.
… und von dort wieder zurück
So vertrödeln wir die letzten Meter unserer Wanderung und besuchen noch das eine oder andere Grab. Übrigens: Heinrich Zille liegt im nördlichen Teil des Friedhofs und hat es mir besonders angetan. Hätte ich als Kind, als ich seine Zeichnungen der einfachen Menschen Berlins durchblätterte, gewusst, dass ich einmal in dieser Stadt leben würde – ich hätte die Karikaturen mit anderen Augen gesehen. Und wäre wahrscheinlich besser auf diese Stadt vorbereitet gewesen.
Vorbei an den Kriegsgräbern des Ersten Weltkriegs gehen wir zum Südausgang des Friedhofs. Und beenden an der Bushaltestelle unseren Spaziergang durch den Stadtteil Dreilinden. Je nachdem, welche Linie zuerst kommt, fährt man von hier aus entweder zum Potsdamer Hauptbahnhof oder zum S-Bahnhof Zehdenick und damit zurück in den städtischen Trubel.
Es tut gut, wenn meine werte Frau Mutter mal zu Besuch kommt. Dann ergibt sich auch für mich immer mal wieder die Möglichkeit, die Stadt, in der ich lebe, neu zu entdecken. Macht man ja so im Alltag eigentlich viel zu selten. Was sehr, sehr schade ist…
Tipps & Infos
HIN- & ZURÜCK.
↠ Hin mit der S-Bahn bis zur Haltestelle S-Bahnhof Wannsee.
↠ Zurück von der Bushaltestelle Güterfelde, Kienwerder über Potsdam.
Abfahrtszeiten und Streckenplanung gibt es bei der BVG.
AUSRÜSTUNG.
Für diese Wanderung benötigt es keinerlei besondere Ausrüstung und ist auch als ausgedehnte Gassirunde mit dem Hund sehr gut machbar.
ESSEN & TRINKEN.
Da es sich durchaus um eine Tageswanderung handelt, wäre es nicht verkehrt, vor allem im Sommer, Essen und Trinken dabei zu haben. Ansonsten gibt es unterwegs die Schützen-Wirtin (ca. 30min nach Start der Wanderung) oder aber das BAPU an der Schleuse in Kleinmachnow (auf ca. der Hälfte der Wanderung). Am Eingang zum Friedhof in Stanhsdorf gibt es dann noch das kleine Café Tick-Tack (kurz vor Ende der Wanderung).
BESONDERE TIPPS.
Am Nordufer des Teltowkanals gibt es einen breiten Wanderweg, der auch gern von Fahrradfahrern und Spaziergängern genutzt wird, oder aber den Trampelpfad entlang des Ufers. Ich empfehle letzteren. Der ist zwar gerade im Sommer etwas zugewuchert, aber dafür bekommt man mit, was sich so auf dem Kanal abspielt. // OBENDREIN gibt es hier verschwiegene Ecken für ein entspanntes Picknick am Wasser. // UND wird am Wochenende die Straßenbahn an der Schleuse zugänglich gemacht. Wer Zeit hat, sollte sich von dem Verein erklären lassen, wie das damals funktionierte. Total interessant.