Die Sage der zündelnden Grete Minde

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Ein Großbrand in Tangermünde vernichtet 1617 unzählige Wohnhäuser. Der Verdacht fällt schnell auf Grete Minde. Doch war sie es wirklich?
Sven Becker
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Tangermünde 1617. Ein herrlicher Spätsommertag im September. Die Einwohner gehen ihren Gewerken nach, in den Gassen und auf dem Marktplatz herrscht reges Treiben. Plötzlich ertönt von irgendwoher der alles gefürchtete Ruf: „Feuer! Feuer in der Stadt!“. Trotz sofortigen Eingreifens der Bevölkerung werden die Tangermünder dem Feuer nicht Herr. Der Brand steigt von Dach zu Dach, von Haus zu Haus. Von überall her, selbst aus den umliegenden Dörfern eilt Hilfe herbei, doch zu spät. 486 Wohnhäuser und 52 prall gefüllte Scheunen brennen innerhalb eines Tages und einer Nacht nieder. Selbst das Heiligste, die Kirche St. Stephan, erleidet Schaden. Schnell ist die Ursache klar: Brandstiftung. Die Suche nach dem Feuerteufel beginnt. Erst 1619 gesteht Margarete von Minden, besser bekannt als Grete Minde, unter Folter, den Brand aus Rache gelegt zu haben. Am 13. März 1619 wird sie bei einem öffentlichen Hexenprozess hingerichtet und gemeinsam mit den Dieben Tonnies und Emmert auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

200 Jahre später allerdings stößt der Historiker Ludolf Parisius bei seinen Recherchen im Stadtarchiv auf Ungereimtheiten. Als Erster studiert er 1883 intensiv die Prozessakten und deckt Widersprüche auf, die nur eine Schlussfolgerung zulassen: Grete Minde war unschuldig. Diesem Gedanken nachgehend nimmt er die Fährte auf und ermittelt auf eigene Faust. Ein mittelalterlicher Kriminalfall nimmt seinen Lauf…

Eine geborene von Minden?

Der angesehene Patrizier Hans von Minden, der das Amt des Tangervogts bekleidet, besitzt zwei Söhne. Heinrich, der ebenfalls dem Rat der Stadt angehört und Peter. Letzterer, vermutlich ein kleiner Raufbold, gerät mit des Krügers Sohn in einen Streit und erschlägt selbigen aus blindem Hass und blanker Wut. Zur Strafe wird er außer Landes getrieben und darf niemals mehr in seine Heimat zurück. Dort schlägt er sich mehr schlecht als recht durch und verdingt sich als Landsknecht. Dabei lernt er ein „ausländisches Weib“ kennen und verliebt sich in sie. (Wobei ausländisch hier im Kleinstaaten-Deutsch zu verstehen ist, denn heute sind die Hessen ja schließlich keine Ausländer mehr.)

Das Produkt ihrer Liebe ist nicht nur eine kleine Hochzeit, sondern auch eine Tochter, getauft auf den Namen Margarete von Minden. Bald darauf stirbt Peter und weil sich die arme Mutter mit ihrer Tochter nicht anders zu helfen weiß, kehrt sie in die Heimat ihres Mannes nach Tangermünde zurück, um den ihr zustehenden Teil des Erbes einzufordern. Doch Heinrich, ihr ja nunmehr Schwager, noch immer hochangesehenes Mitglied des Rates, weist sie zurück. Auch der Bürgermeister Kaspar Helmreich, ein Freund Heinrichs, erkennt ihren Anspruch nicht an. Darüber gerät Gretes Mutter in Gram und stirbt alsbald völlig verarmt.

Fortan muss sich die junge Margarete allein durchschlagen und verdingt sich als Magd in Tangermünde. Und weil es so einsam auch irgendwie nichts ist, heiratet sie im Sommer 1616 schließlich Antonius „Tonnies“ Meilahn, einen Taugenichts und Tunichtgut. Der hat nämlich nichts Besseres zu tun als frisch verheiratet auf die Gart zu gehen, was neudeutsch meint, sich mit Raub und Diebstahl durchzuschlagen. Naja, kann ja auch ein Karriereweg sein.

Genug ist genug, Grete Minde zieht weiter.

Immer wieder klagt Grete Minde dem Rat der Stadt ihr Leid, fordert stets aufs Neue ihr Erbe ein und wird doch immer wieder abgewiesen. Keine echte von Minden, kein Erbe. Schließlich wird es ihr zu viel, sowohl mit dem Wehklagen als auch mit der Karriereplanung ihres Mannes und so packt sie ihren Angetrauten und das zwischenzeitlich geborene Kind und geht mit ihnen auf Wanderschaft. Da es aber Winter ist und der in diesem Jahr auch noch sehr kalt über die Lande zieht, erkrankt Grete zwischen Salzwedel und Gardelegen und muss wochenlang das Bett hüten. Ihr Mann findet es überhaupt nicht lustig, Fürsorge für seine Frau zu leisten und zieht schließlich ohne sie weiter. Sie kommt derweil bei einem Kuhhirten in Apenburg unter und lernt nach ihrer Genesung den Umgang mit Heilkräutern sowie die Zunft des Handlesens. Na, was man halt als Frau so macht im Mittelalter.

Alles auf Anfang oder Back to the roots.

Von Dorf zu Dorf ziehend sammelt sie unterwegs auch ihren Mann wieder ein und kommt im Frühjahr 1619 erneut nach Tangermünde. Dort hofft sie ihren Göttergatten ins anständige Metier zu helfen und bemüht sich, ihn beim Rat der Stadt als Polizist unterzubringen. Und dabei nimmt das Schicksal seinen Lauf. Als Tonnies nämlich die Stufen des Rathauses erklimmt, um sich in einem Bewerbungsgespräch vorzustellen, erkennt ihn eine ältere Dame, die er dereinst ausgeraubt hatte, und schlägt sofort Alarm. Jetzt bekommt er die einzigartige Möglichkeit und darf die Arbeit der Polizei am eigenen Leib erfahren: Er wird verhaftet und der Folter übergeben.

Wie die Zeiten sich ändern: Was im Mittelalter noch kostenlos war, muss heutzutage teuer im Kino erkauft werden. Geht doch nichts über einen Schauprozess noch vor dem Mittagessen.

Unter dieser gesteht er, dass seine Frau ihn, die Brüder Hornberg und den Emmert Martin aus Rache über das entgangene Erbe angestiftet haben soll, den Brand zu legen. Da Grete schon seit längerem ein schmerzender Dorn im Auge des Heinrich von Minden ist, nutzt dieser die Gelegenheit und bereitet hinterrücks einen Hexenprozess gegen seine Nichte vor. Gleiches versucht er für Emmert Martin, den Gebrüdern Hornberg kann er leider nicht habhaft werden. Die sind und bleiben verschwunden.

Foltern was das Zeug hält.

Wie es nun einmal so ist unter einer richtig guten Folter, sie gibt alles zu. Grete Minde nimmt die Schuld auf sich und unterschreibt damit ihr Todesurteil. Gegenargumente, Widersprüchlichkeiten, die Aussage des Kuhhirten, bei welchem sie während der Feuersbrunst auf dem Krankenbett lag, egal. Alles wird von Heinrich galant unter den Tisch gekehrt, nur damit keine weiteren und vor allem rechtlich relevanten Forderungen ihrerseits an ihn herangetragen würden.

Der Coup geht auf. Am 13. März 1619 sprechen die Schöffen das Todesurteil und die drei werden noch am selben Tag hingerichtet. Besonders hart trifft es Grete. Sie wird öffentlich in einem Hexenprozess zur Schau gestellt. Dabei werden ihr alle Finger einzeln und nacheinander mit einer glühenden Zange abgezwackt, ihr Leib mit glühenden Kohlen gebrannt, ihr Körper mit eisernen Ketten auf einem erhabenen Pfahl angeschmiedet und sie samt Pfahl lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Im Mittelalter ging man immer auf Nummer sicher.

So, und wer war es nun?

Fast alle Unterlagen des Prozesses liegen heute noch im Stadtarchiv zur Einsicht und somit war es für den Historiker Parisius ein Leichtes, die Wahrheit ans Tageslicht zu fördern. Grete Minde kann das Feuer gar nicht gelegt haben. Sie lag währenddessen von Krankheit gezeichnet im Bett des Kuhhirten in Apenburg. Dafür gibt es mehrere Zeugen und Fürsprecher. Die Diebe Martin Emmert und Antonius „Tonnies“ Meilahn wurden zu Recht verurteilt, gegen sie lagen mehrere Haftbefehle vor, wurden sie doch schon mehrmals der Stadt und des Landes verwiesen.

Die Brüder Hornberg dagegen hatten allen Grund Feuer zu legen. Sie schuldeten dem Rat der Stadt nämlich eine Menge Geld. In der Hoffnung, alle Beweise zu vernichten und sich am Ende schuldenfrei zu machen, legten sie das Feuer in unmittelbarer Nähe des Pulverturms. Keiner von ihnen ahnte auch nur, dass sie mit dieser Leichtfertigkeit fast 80% der Stadt zerstören würden. Als sie bemerkten, dass das Feuer außer Kontrolle geriet, verließen sie eiligst die Stadt und waren nie mehr gesehen.

Wenn also jemand einen Hornberg oder auch Horneburg kennt, der soll sich doch bitte mal im Rathaus von Tangermünde melden. Da ist wohl noch eine Rechnung offen…

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[…] verschied? Nun, es gab 1617 noch einen Stadtbrand, der zwei Drittel der Stadt vernichtete und an dem die Hexe Grete Minde schuld gewesen sein soll, den obligatorischen Dreißigjährigen Krieg und ganz neu: die Pest. Die wütete 1682 und forderte […]

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