80km deutsche Geschichte (2|3)

Zeichenfläche 16 Kopie 2

weiterlesen

Von Havelberg über Werben bis nach Hohenberg-Krusemark ging es schon im Mittelalter auf dem Brandenburger Jakobsweg. Ein Bericht.
Sven Becker
  Inhalt

Gott tun mir die Beine weh. Und auch die Aussicht auf die heutige Etappe ist alles andere als rosig. Weiter auf dem Mittelalter-Jakobsweg stehen heute 33 Kilometer auf der Agenda nur unterbrochen von kleinen Pausen, Kirchbesuchen und meinen Fluchtiraden. Wer hat sich diesen Schwachsinn eigentlich ausgedacht? Immer nur Laufen ist doch auch irgendwie nichts. So freue ich mich innerlich am meisten auf die bevorstehenden 300 Meter, die mal nicht zu Fuß, sondern per Fähre über die Elbe zurückgelegt werden. Na immerhin. Nur noch 32,7 Kilometer zu laufen…

Immer entlang des Elbe-Rad-Wegs – mal an der Elbe, mal abseits von ihr.
Immer entlang des Elbe-Rad-Wegs – mal an der Elbe, mal abseits von ihr.

Havelberg – Werben – Hohenberg-Krusemark (33km)

Direkt hinter Havelberg führt der wildromantische Wanderweg an die seichten Ufer der Elbe. Es ist noch früh am Morgen, nun ja… solch eine Strecke läuft sich nun einmal nicht von allein. Nicht weit entfernt schippert sie auch gerade an das hiesige Ufer, die Gierfähre über den Fluss, die bereits 1472 erstmals Erwähnung fand. Natürlich nicht diese, sondern ein hölzernes Gefährt, jedoch an eben dieser Stelle. Auf der anderen Seite übergesetzt sind es auch nur noch schlappe 5 Kilometer bis nach Werben, wo ich meine erste große Pause mache und mir in aller Ruhe die Basilika St. Johannis anschaue.

Ein Stück des Weges wieder zurück (irgendwo müssen die Gesamtkilometer ja herkommen) folge ich weiterhin dem Elberadweg und komme 6 Kilometer später im kleinen Örtchen Berge an. Dieser verfügt über eine Handvoll Häuser, eine zurzeit wegen Restaurierungsarbeiten geschlossene Kirche und freilaufende Hühner. Meine Versuche eines davon einzufangen scheitern natürlich kläglich, geben mir jedoch das Gefühl von bäuerlicher Einfachheit. Und so wandere ich unbeschwert weiter über Kanneberg und Büttnershof nach Käcklitz. Immer durch das Naturschutzgebiet „Alte Elbe“, immer von Froschgequake und Vogelgezwitscher begleitet. Andere finden sowas sicher nervig, ich nenne es Musik. Ach quatsch, war schon nervig dieses ganze Gequake um die paar Weibchen.

Das ist er, einer der unzähligen Tümpel voller Frösche. Bei dem Gequake möchte man doch am liebsten Storch spielen und dem ganzen Treiben ein leckeres Ende setzen.
Das ist er, einer der unzähligen Tümpel voller Frösche. Bei dem Gequake möchte man doch am liebsten Storch spielen und dem ganzen Treiben ein leckeres Ende setzen.
Entlang der Elbe auf dem Mittelalter Jakobsweg

Nichts mehr übrig oder Käcklitz wo bist du?

Käcklitz ist insofern sehenswert, da von der ehemaligen Siedlung heute nichts mehr zu sehen ist. Außer den Mauern der frühgotischen Backsteinkirche. 1321 erstmals urkundlich erwähnt, erblühte und gedieh dieser Ort bis… naja, bis das Ende des Zweiten Weltkrieges kam. Die Rote Armee beschloss nämlich im Zuge ihres Triumphes, die Panzerstraße Nr. 6 einfach mitten durch den Ort zu führen. So kampierten fortan bei den halbjährlichen Manövern die Rotarmisten mit schwerem Gerät in den verlassenen Gebäuden und der Kirche.

Da aber keiner so richtig toll fand, in seinem Garten fremde Zelte zwischen Zwiebeln und Radieschen vorzufinden, verließen nun auch die letzten Bewohner nach und nach den Ort. Und gaben ihn somit dem Verfall preis. Zum letzten Gottesdienst kam es im Jahre 1968 und aus der Kirche wurde eine Ruine. Der Turm ist heute zwar restauriert und steht zur Besichtigung offen, der Rest jedoch ist verschwunden im Nebel der Geschichte.

Die Kirchruine von Käcklitz. Nur der Turm und die Mauern stehen noch, der Rest des einst so blühenden Ortes ist verschwunden.
Die Kirchruine von Käcklitz. Nur der Turm und die Mauern stehen noch, der Rest des einst so blühenden Ortes ist verschwunden.
Der erste Anschein trügt: mehr als diese Mauern gibts vom ganzen Ort nicht mehr.
Der erste Anschein trügt: mehr als diese Mauern gibts vom ganzen Ort nicht mehr.

Unterwegs auf dem Mittelalter-Jakobsweg

Weiter durch die Ortschaften fallen mir immer häufiger weiße Holzkreuze auf, die an fast jedem Gartenzaun, Baum oder vereinzelt auch an Türen und Häusern angebracht sind. Auf Nachfrage klärt man mich in Osterholz endlich auf. Direkt vor den Toren des beschaulichen Dörfchens ist eine Anlage zur Massentierhaltung von Hühnern geplant. Bis zu 400.000 Stück sollen dort untergebracht werden. „So bedenklich ich diese Art der Tierhaltung auch allein schon aus ethischen Gründen halte,“ erklärt mir ein Anwohner „kann ich mich einfach nicht auf den bevorstehenden Geruch freuen, den die Winde demnächst in unser Dorf tragen werden. Was meinen Sie, was so viele Tiere für einen Gestank verursachen? Von dem ganzen Dreck einmal abgesehen. Die scheißen ja schließlich kein Gold, sondern dasselbe, was andere Hühner auch scheißen! Und die riesigen Ställe werden nicht sauber gemacht. Erst wenn die zur Schlachtung reif sind wird da mal notdürftig durchgefeudelt.“

Er redet sich richtig in Rage und verweist auf eine andere Anlage 30 Kilometer nördlich, die im Zuge des geplanten Neubaus von den Einwohnern besichtigt werden konnte. „Und Arbeitsplätze werden da auch nicht geschaffen. Läuft doch fast alles vollautomatisch. Meinen Sie, das ist etwa artgerecht?“ Da ich das Buch von Jonathan Safran Foer gelesen habe, finde ich bestätigt, was dieser schon zusammen getragen und für bedenklich erachtet hat. Eine überregionale Bürgerinitiative soll der Planung ein Ende setzen und den Bau der Anlage verhindern. Die weißen Kreuze symbolisieren den Protest. Wenn ich bedenke, dass ich heute Morgen noch ein freilaufendes Huhn fangen wollte, kommt jetzt doch ein schlechtes Gewissen bei mir auf. Glückliches Vieh das.

Direkt vor die Tore dieses idyllischen Dorfes ist die Massentierhaltungsanlage geplant.
Direkt vor die Tore dieses idyllischen Dorfes ist die Massentierhaltungsanlage geplant.
Und die Osterholzer wehren sich. Niemand will hier eine Anlage errichtet sehen...
Und die Osterholzer wehren sich. Niemand will hier eine Anlage errichtet sehen…

Gute 33 Kilometer später…

Das heutige Ziel auf dem Mittelalter-Jakobsweg, der auch dem Brandenburger Jakobsweg folgt, ist mal ein geschichtlich völlig Uninteressantes. Hier gab es nicht einmal genug Glauben, um eine Kirche zu bauen, geschweige denn ein Restaurant. So bin ich auf die Hilfe der Pensionsmutter angewiesen, die mir einen Transport in das nächstgelegene Dorf ermöglicht, in welchem sich eine Gaststätte befindet. Nur der Name des Örtchens verhindert einen längeren Aufenthalt: Hindenburg. Naja, ist zwar auch deutsche Geschichte, aber eine gänzlich andere.

Facebook
Pinterest
LinkedIn
Email
WhatsApp
0 0 Stimmen
Wie hat Dir dieser Artikel gefallen?
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
name
email
nachricht

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

0 Kommentare
Inline-Rückmeldungen
Alle Kommentare anzeigen
Weitere Berichte
2019_tB_Logo_backpack_black

Kein Abenteuer mehr verpassen!

Melde Dich für unseren Newsletter an und erfahre vor allen anderen von bevorstehenden Veröffentlichungen, Neuigkeiten und exklusiven Gewinnspielen. Unregelmäßig versandt landen die Infos zukünftig auch in Deinem Posteingang.

190425_tB_Titelseite