„Die beiden Städte besitzen Weltruhm“, sagt man. „Stresa mehr noch als Baveno“. Dafür gilt erstere im Sommer von Touristen völlig überlaufen, letztere als Geheimtipp noch einigermaßen bezahlbar. Stapeln sich die Sonnenhungrigen in der Einen, finden Genießer in der Anderen ihr eigentliches Eldorado. An der Straße zwischen den beiden Orten haben die Hoteliers schon früh den kommerziellen Geist geweckt und eine Bäderarchitektur etabliert, die so nicht einmal in Bellagio am Comer See zu finden sein soll. Grund genug also, mich der kleinen Schwester zu widmen und die große einfach südlich liegen zu lassen.
Stadtbummel durch Baveno
Von Stresa kommend und die einzigartigen Villen und Häuser, die zumeist im Zuge der touristischen Erschließung des 19. Jahrhunderts erbaut worden, verfalle ich nicht dem Gedanken, zu verweilen, sondern zwinge mich, die Hauptstraße direkt am Lago Maggiore entlang, zum kleinen Nachbarort Baveno zu wandern. Den Hafen bereits von Weitem im Blick sind beim heutigen Wetter die Rufe der Möwen und das Rauschen des Windes in den Platanen die einzigen Begleiter. Es regnet oft aber nie lang. Das Schöne beim ersten Eindruck ist ja, mit jedem weiteren Schritt stets einen neuen zu haben. Gassen die noch unbekannt, werden beim zweiten Blick vertraut, beim Dritten schon fast gewohnt.
Am Hafen ruhen einige Fischerboote. Eine Anlegestelle für die Fähre nebst Restaurant und Eisstand sind zu finden, sowie einige der Boote die Touristen auf die Borromäischen Inseln bringen. Von regem Treiben keine Spur, ganz im Gegensatz zu Stresa. Hier lasse ich mich nieder und genieße bei einer Tasse Kaffee den Ausblick über den See. „Den Lago“, wie der Schweizer am Nachbartisch ihn nennt. „Seinen Lago.“
Bereits seit frühester Kindheit zieht es ihn alljährlich an diesen Ort. Waren es einst die Eltern, die ihn als Kind zur Sommerfrische mitnahmen, später dann die Frau, die aus Liebe mitreiste, ist es nun die Erinnerung an beide, die ihn als Pensionär immer wieder zurückkehren läßt. Verändert habe sich der Ort. Still und unmerklich zuweilen, im Norden stärker als im Süden. Aber immer noch sei es sein Baveno, seine Idylle im Sommer. Ich danke für das angenehme Gespräch, zahle und gehe weiter.
Unterwegs in der Altstadt von Baveno
Abseits des Wassers tun sich kleine Gassen auf und laden zum Bummeln, Rumstromern und Promenieren ein. Hetzen sollte man sich nicht, dafür ist jede neue Ecke viel zu typisch italienisch, viel zu mediterran, um sie im Schnelldurchgang zu erlaufen. Modernisierte Villen stehen neben verlassenen Bruchbuden, Ruinen neben hochumzäunten Gärten. Dazwischen ein Park, eine Piazza, daneben die Schule. Erklimmt man die leichte Steigung, gewinnt man nicht nur einen Blick von oben, sondern auch Einblicke in die „SS Gervasio e Protasio“, eine Kirche nebst Kreuzgang und Baptisterium aus dem 11. Jahrhundert. Auf ihrem Hof spielen Kinder Fußball, der Alltag ist auch dort zu finden wo andere Zuflucht im Glauben suchen.
Über mein Laufen durch den Ort vergesse ich die Zeit. Es beginnt zu dunkeln und ich freue mich auf den Reiz Baveno’s bei Nacht. Das kleine typisch italienische Restaurant, welches sich in den verwinkelten Gassen versteckt hält, ist Anlaufort für mich, den die Kilometer des Tages hungrig und durstig gemacht haben. Immer wieder aufs Neue erstaunt mich, wie weitläufig selbst die kleinste Ortschaft sein kann, wenn man sich einmal durch ihre Straßen und Gassen treiben lässt.
Am Abend brennen dann doch die Füße und die Kehle lechzt nach einem kühlen Trank. Auf Anraten des Besitzers genehmige ich mir frisch gefangenen Dorsch und einen hausgekelterten Pinot. Das Beste für einen köstlichen Ausgang des Tages, die Belohnung für den stundenlangen Spaziergang. Ob es mir dereinst gehen wird, wie dem Schweizer am Morgen? Ob es mich in späteren Jahren auch wieder zurück an diesen Ort ziehen wird? Ich kann es nicht sagen, nur hoffen. Denn Baveno scheint genau der Ort zu sein, wo wohlige Erinnerungen zu Hause sind.
+++ UPDATE +++
Vier Jahre später bin ich erneut in Baveno. Diesmal im Auftrag eines Tourismusverbands, der mich auf eine ganz andere Seite des beschaulichen Städtchens eingeladen hat. Dort erfahre ich, warum Baveno für den Lago Maggiore seit Jahrhunderten enorm wichtig war und es immer noch ist. Den Stadtbummel im Schatten der Promenade und meine neuen Eindrücke gibt es hier zu lesen. Und wer Lust auf eine Wanderung in die Berge dahinter hat, wird hier fündig.
[…] Tag und meine Reise an den Lago Maggiore gingen viel zu schnell vorbei. Aber vielleicht behält der Schweizer von Baveno recht. Vielleicht komme ich eines Tages wirklich noch einmal in diese Gegend. Verliebt habe ich […]