8:00 | Mögen die Nebelspiele beginnen
Manchmal gibt es diese Tage, an denen ich morgens aus dem Fenster schaue und sehe… Nichts. Also so ganz Nichts sehe ich natürlich nicht. Aber das was ich sehen sollte, ist im Nebel versteckt und für mich unsichtbar. Außerdem regnet es. Große Tropfen zerplatzen rhythmisch an den Scheiben meines Zimmers im Hotel Victor’s, rutschen in Schlieren langsam nach unten, bevor sie von neuen Regentropfen in ihrem Fluss noch beschleunigt werden. Insgesamt also eher maues Wetter. Normalerweise würde ich mich zurück ins Bett begeben und ganz gemütlich aber vor allem guten Gewissens weiterschlafen.
Nicht so heute. Heute steht nämlich der zweite Tag der 5. Bloggerwanderung auf dem Plan, welcher mich und meine Bloggerkolleg*innen auf die zehnte Etappe des Saar-Hunsrück-Steig entführen wird. 10 plus 5 sind jede Menge Argumente gegen das Weiterschlafen. Und in Summe ziemlich ausschlaggebende Gründe, warum ich letztlich doch aufstehe. Ein anderer wäre zudem der Umstand, dass mir bereits vom Flur der Duft von frischgebrühtem Kaffee verführerisch um die Nase weht und ich nach der gestrigen Wanderung richtig Hunger habe. Das Frühstücksbuffet ist reichlich gedeckt und die Abfahrt um 9 Uhr anvisiert. Da bleibt nicht viel Zeit, dem gestrigen Sonnenschein hinterher zu trauern. Am Ende kommt es ja meist doch anders als man denkt.
9:30 | Willkommen im Urwald von morgen
Frohgemut und gut gelaunt wartet Ranger Patric am Startpunkt der heutigen Wanderung. Selbst wenn er nicht speziell auf uns gewartet hätte, man hätte ihn dennoch kaum übersehen. Ein breitkrempiger Hut, helles Hemd und die mit unzähligen Taschen übersäte Hose weisen ihn eben doch sehr deutlich als „Hüter dieses Landschaftsraumes“ aus. So zumindest die ursprüngliche Bedeutung seiner Tätigkeit, bevor sich auch in unseren Breitengraden die amerikanische Bezeichnung durchgesetzt hat: Ranger. Klingt ja irgendwie auch griffiger. Robuster. Und vor allem so schön unbürokratisch. Auch im Nationalpark Hunsrück-Hochwald hat sich Olivgrün als dominierende Farbe für diese Berufskleidung etabliert. Und die setzt sich nun unübersehbar vor mir aus den unterschiedlichsten Schattierungen zusammen und verbindet sich mit einem sympathischen, wachen Geist in Personalunion.
Nach einer kurzen Einführung in das Tun eines Naturpark-Rangers geht es endlich auf die ersten Meter des Saar-Hunsrück-Steig. Damit es nicht langweilig wird gleich mal bergan. Und obendrein noch hinein in das Herzstück des Nationalparks. Wie ich von Patric erfahre und mich gleichzeitig mit eigenen Augen überzeugen kann, führt der Wanderweg die ersten Kilometer durch den Urwald von morgen. Namentlich zumindest. Denn im Moment sind alle Hebel in Bewegung gesetzt, irgendwann wieder das vorzufinden, was es vor dem Eingriff des Menschen in diesen Naturraum in aller Selbstverständlichkeit gab: unberührten Buchenwald. Der Baum des Jahres 1990 hat es nämlich schwer. Da sein Verbreitungsgebiet sich ausschließlich auf Europa und dort vorwiegend auf deutsche Mittelgebirge beschränkt, ist sein Bestand dank ausgiebiger Holznutzung stark zurückgegangen. Und damit unbedingt schützenswert.
11:00 | Auf dem Saar-Hunsrück-Steig vorbei am Ochsenbruch
Das tun nun Patric und seine Kolleg*innen mit vollster Hingabe und ganzer Energie. Zwar ist der vor mir liegende Buchenwald allein schon in seiner Herbstpracht fantastisch anzusehen, dennoch wird nebenbei ein weiteres Ziel verfolgt. Und das ist mindestens genauso wichtig. Durch die Rückführung des Waldgebiets in seinen ursprünglichen Zustand erhoffen sich die Ranger nämlich auch eine Steigerung der Wildkatzen-Population. Felix silvestris, so die lateinische Bezeichnung, ist nicht nur äußerst scheu sondern bevorzugt diese lichten Laubwälder. Auch wenn nach dem letzten Monitoring mittlerweile wieder über 100 Tiere im Nationalpark leben, und sich inzwischen das „größte zusammenhängende Wildkatzen-Vorkommen West-Europas“ in Rheinland-Pfalz befindet, gehören sie nach wie vor zu den gefährdeten Tierarten.
In freier Wildbahn wird man sie dagegen eher selten zu Gesicht bekommen. Und schon gar nicht an einem Tag wie diesem, an dem der Nebel noch immer tief hängt. Kaum 30 Meter weit kann ich in den Wald hinein sehen. Danach verwabert alles in undurchsichtigem Grau. Wobei das nicht negativ gemeint ist. Ich mag das. Sehr sogar. Ganz besonders am Aussichtspunkt des Ochsenbruchs, der mich sofort in seinen Bann zieht. Das Moor, der Nebel und die Laubfärbung lassen mich schlagartig an Herr der Ringe- oder zumindest Harry Potter-Filme denken. Und ja, ich gebe es zu: beide Formate habe ich sehr gemocht. Damals, im Kino. Und neulich erst wieder. Aber ich schweife ab.
12:00 | Give me a Pilz
Von dort, also vom Ochsenbruch, führt der Wanderweg weiter durch mal dichten, mal weniger dichten Laubwald immer höher auf den Erbeskopf, den höchsten Berg des Hunsrücks. Und gleichzeitig noch tiefer in den Nebel. Das Schöne an mangelnder Weitsicht auf einer Wanderung ist ja stets, dass anderen Dingen dadurch eine größere Aufmerksamkeit zukommt. Vorzugsweise Dingen in unmittelbarer Umgebung. Egal, ob das Rascheln heruntergefallenen Laubs unter den Füßen, das Spüren klammer Feuchtigkeit auf der Haut oder gedämpfte Geräusche, wo sonst klarer Vogelgesang dominiert – alles sonst Nebensächliche wird nun dringender, vordergründiger. Es ist nicht nur Kulisse, sondern wird Hauptattraktion. Allein schon dafür lohnt sich eine Wanderung im dichten Nebel.
Auch fallen Dinge am Wegesrand verstärkt ins Auge, desto weniger in der Ferne ablenkt. Fliegenpilze zum Beispiel. Ein knallrotes Grüppchen springt trotz Versteck direkt ins Blickfeld. Sie leuchten magisch. Und schön. Und einzigartig. Was sie natürlich nicht sind. In direkter Umgebung gibt es schließlich noch mehr von ihnen. Doch diese hier haben es den Outdoor-Enthusiasten angetan. Und ja: auch mir. Ich schließe mich meinen Mitwanderern an und fotografiere was das Zeug hält. Auf jeden Pilz ein Blogger – das nenn ich gerechte Verteilung. Aufmerksamkeitstechnisch haben die Rotlinge also alles richtig gemacht.
13:00 | Auf dem Erbeskopf
Vorbei an einer Siegfried-Quelle, von der es gefühlt in fast jedem Gebirge eine zu geben scheint, gelange ich gegen Mittag auf den Gipfel des Erbeskopfs. Trotz seiner 816 Meter sehe ich… Nichts. Wie ein Déjà-vu oder roter Faden scheint sich der Nebel durch den heutigen Tag zu ziehen. Erst auf der Aussichtsplattform der Skulptur Windklang, vom Bildhauer Christoph Mancke gestaltet und in exponierter Lage direkt auf dem Gipfel stehend, kann ich in nördlicher Richtung endlich etwas von der Umgebung sehen. Und gleichzeitig vermuten, dass an einem wolkenlosen Tag die Aussicht phänomenal sein muss. Denn das, was ich da mehr ahne als sehe, verspricht Weitsicht. Angeblich sogar bis zur Vulkan-Eifel.
Am nördlichen Hang führt der Saar-Hunsrück-Steig danach serpentinartig vom Erbeskopf wieder hinab ins Tal. Das aber nicht, ohne dabei die ein oder andere Schneekanone zu streifen. Denn das hier ist im Winter Skigebiet. Das größte in Rheinland-Pfalz obendrein. Bleibt der Schnee einmal aus, will man schließlich nachhelfen können. Was in den Alpen seit Jahren erfolgreich praktiziert wird, kann das deutsche Mittelgebirge schon lange. Irgendwie muss man dem Klimawandel ja was entgegen setzen. Dass die Spirale dadurch nur noch befeuert wird – nebensächlich.
14:00 | Weiterbildung par excellence
Am Fuße des Erbeskopfs und direkt am Saar-Hunsrück-Steig gelegen befindet sich eine der wirklichen Überraschungen des heutigen Wandertags – das Hunsrückhaus. In ihm ist eine Ausstellung untergebracht, die mich trotz ihrer geringen Größe mächtig beeindruckt. Zurückgenommen und aufs Wesentliche reduziert, wird in ihr das derzeitige Verständnis des Nationalparks auf spielerische Art nahegebracht, ohne dabei belehrend zu wirken. Videoscreens, Animationen, interaktive Bildschirme und ansprechend gestaltete Dioramen erzeugen Tiefe und Mehrwert. Der abgedunkelte Raum lässt zudem keine Ablenkung zu. Das ist insgesamt sehr gelungen und für mich als Gestalter ein echtes Highlight.
Und hier treffe ich auch Ranger Patric wieder. Nur diesmal multimedial. Von einem der Screens berichtet er, was ich noch vor wenigen Minuten live von ihm erfahren durfte. Eine perfekt geschlagene Brücke zwischen Gegenwart und Zukunft. Und meine nachdrückliche Empfehlung, die man täglich von 9 bis 17 Uhr kostenfrei besuchen kann. Nein muss! Man kann diese Etappe des Saar-Hunsrück-Steig nicht gewandert sein, ohne hier wenigstens mal einen Blick hineingeworfen zu haben.
15:30 | Alte Bahnen und hohe Viadukte
Bevor die Bahn im Zuge der Privatisierung kleinere und unrentable Linien dichtmachte, verliefen auch wundervolle Strecken direkt durch den Hunsrück. Über eine davon stolpere ich im weiteren Verlauf des Saar-Hunsrück-Steig. Ohne jegliche Beschrankung, oder auch nur einen Hinweis auf eventuell durchfahrende Züge, gehe ich mal stark davon aus, dass diese Trasse ebenfalls nicht mehr genutzt wird. Zu hoch gewachsenes Gras im Gleisbett lässt vermuten, was Patric, der Naturparkführer an meiner Seite, bestätigt. Nach der endgültigen Streckenschließung in den 1990ern gab es zwar schon mehrere Versuche, sie wiederzubeleben, die aber allesamt scheiterten. Auch der letzte Versuch, eine Fahrt mit der Draisine, misslang aufgrund der dabei zu überwindenden Steigung. Macht vermutlich nur halb soviel Spaß, das schwergewichtige Mobil per Armkraft den Berg hinauf zu befördern. So bleibt die Strecke ein Relikt aus alten Zeiten und wird zwischenzeitlich ganz langsam von der Natur zurückerobert.
Dagegen das Viadukt bei Hoxel ist noch voll intakt. Die acht Bögen aus Stein überspannen das Tal in 42 Metern Höhe und sind insgesamt 160 Meter lang. Schimmert es anfänglich unscheinbar durch den Herbstwald, thront es wenig später – der Saar-Hunsrück-Steig führt unterhalb durch einen der Bögen – recht imposant über dem Tal. Schön, dass sich der Nebel inzwischen gelichtet hat und ich das Bauwerk somit in voller Größe bewundern kann. Mein Faible für die Architektur der Eisenbahngeschichte findet bei seinem Anblick vollste Befriedigung. Zu gern wäre ich nur einmal über dieses Viadukt getuckert. Den Qualm der dampfenden Lokomotive über mir und frischen Fahrtwind im Gesicht. Als Kind hatte ich noch die Möglichkeit, mit einer Dampfeisenbahn zu reisen. Doch meine Kindheit ist längst vorbei. Und die Zeit der Dampfrösser ebenfalls. Aber träumen darf man hier noch.
17:00 | Ende gut alles gut:
Mein Resümee der 10. Etappe auf dem Saar-Hunsrück-Steig
Mal von den idyllischen Herbstwegen abgesehen, ist das Hunsrückviadukt bei Hoxel dann auch das letzte Highlight auf der zehnten Etappe des Saar-Hunsrück-Steig. Nur wenige Kilometer später komme ich ans Ziel und muss mich da auch schon wieder von Patric verabschieden. Obwohl es mittlerweile wieder nieselt, bin ich dankbar, dass sich der Nebel dann doch noch im Laufe des Tages verzogen hat. Beim dumpfen Trommeln der Tropfen auf meiner Kapuze halte ich einen Moment inne und lasse die Highlights dieser Wanderung noch einmal Revue passieren: Nebel, ein Wald voller Buchen, Wildkatzen, Erbeskopf mit Windklang, Hunsrückhaus und letztlich Hoxel mit seinem Viadukt – alles in allem kann man festhalten: diese Etappe ist abwechslungsreich.
Und wer neugierig geworden oder gar gewillt ist, diese Premium-Wanderung nachzulaufen, dem sei er hiermit wärmstens ans Herz gelegt. In meiner ganz persönlichen Skala wunderbarer Wanderwege ist dieser – trotz oder gerade wegen des Nebels – volle fünf Punkte wert.
PS: So eine Wanderung mitsamt Naturpark-Ranger ist natürlich nichts, was ausschließlich der schreibenden Zunft vorbehalten bleibt. Ein jeder der Lust hat, sich unterwegs und nebenbei fortzubilden, kann sich auf einer sogenannten Ranger- oder Erlebnistour schulen. Quasi eine Art „Escort-Service“ in Fragen des Naturschutzes. Und wird von mir unbedingt empfohlen. Selten habe ich gebündeltes Fachwissen so nahbar und sympathisch vermittelt bekommen. Dagegen war ja Schule richtig anstrengend. Die geführte Touren finden mehrmals im Monat und zu unterschiedlichen Themen statt. Weitere Informationen gibt es hier.
Hinweis in eigener Sache (Disclaimer)
Meine hier beschriebenen Eindrücke durfte ich im Rahmen der 5. Bloggerwanderung sammeln. Eingeladen und veranstaltet wurde diese von den Gastlandschaften der Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH. Dabei sind mir Anreise, Unterkünfte und Verpflegung zur Verfügung gestellt worden, wofür ich mich recht herzlich bedanken möchte. Auf meine abschließende Meinung wurde kein Einfluss genommen. Diese entspricht ausschließlich meiner persönlichen Sicht.