Mein Aufbruch in Gressoney-Saint-Jean wird von Starkregen begleitet. Dicke Tropfen klatschen lautstark auf Jacke und Rucksack, eine klamme Kälte zieht unter die Kleidung. Das trommelnde Geräusch wird mich die nächsten Kilometer begleiten und wirkt dennoch irgendwie meditativ und beruhigend. Umso mehr vertraue ich meinem Führer Davide Branca vom örtlichen Tourismusbüro, der mich die gut 400 Höhenmeter hinauf zum Rifugio Alpenzu bringen wird. Für ihn ist es eine Wanderung, die er schon hundert Mal gemacht hat. Für mich das erste Mal. Weiter geht es zu Fuß durchs Aostatal, der kleinsten autonomen Region Italiens.
Aufbruch zum Rifugio Alpenzu
Gemächlich und nur leicht bergan führt der Weg aus Gressoney-Saint-Jean in nördliche Richtung hinaus. „Normalerweise hat man von hier einen guten Blick auf das Monte-Rosa-Massiv“ meint Davide. „Oder auf den Gipfel der Dufourspitze.“ Heute bleibt uns leider beides verwehrt. Lediglich in einer kurzen Pause, in welcher die Nebelschwaden weiterziehen, erhasche ich einen Blick auf das Gletschermassiv. Schade, ich hätte gern mehr davon gesehen. Denn das, was ich sehe, verspricht Einzigartiges.
Noch ein kurzer Blick auf das Gletschermassiv, ein letzter Schluck aus der Wasserflasche, dann führt Davide mich auf einen steilen Pfad. Seiner Aussage nach wird das auch so bleiben. Serpentinenartig windet sich der schmale Wanderweg am Berghang entlang, ist aber an keiner Stelle gefährlich. Dafür bietet sich bei jeder Kehre immer wieder eine tolle Aussicht – Blicke, welche die wahre Größe der italienischen Alpen offenbaren.
Zuweilen bleibt Davide stehen und berichtet aus vergangenen Tagen. Von steinalten Tannen, die in diesen Wäldern bereits über 500 Jahre und länger wachsen. Von eingefallen Häusern, die aus Walserzeiten stammen, von denen aber nur noch Grundmauern oder eingefallene Dachschindeln übrig sind – verlassen, von der Zeit geschluckt. Wie in Gressoney-Saint-Jean bereits erfahren, sind auch hier nur noch einzelne Reste dieser einst kraftstrotzenden Kultur übrig geblieben. Und mit jeder Generation verfällt sie ein Stück mehr und verschwindet immer weiter aus dem Bewusstsein. Bis auch von ihr nur noch in Geschichten berichtet wird.
Rifugio Alpenzu (1.779m)
Knapp 1,5 Stunden später erreichen wir das Rifugio Alpenzu. Zwar hat der Regen aufgehört, aber die Feuchtigkeit hängt noch immer in den Kleidern. Ob nun tatsächlich vom Niederschlag oder vom schweißtreibenden Aufstieg wage ich nicht mit aller Endgültigkeit festzustellen. Was aber auch irgendwie egal ist. Das Tagesziel ist erreicht und ich danke Davide für seine Führung und vor allem die Berichte über die fast vergessene Kultur der Walser.
Mitten im vorbeiziehenden Nebel verzaubert mich der Ort. Nur in den Sommermonaten und an ausgewählten Wochenenden in Frühling und Herbst für Wanderer geöffnet, bietet sich ein kaum noch fassbarer Einblick in vergangene Zeiten. Das einstige Dorf, eine kleine Walsersiedlung, ist dank liebevoller Pflege und gewissenhafter Renovierung fast unversehrt. Bereits um 1200 urkundlich erwähnt scheint seitdem die Zeit still zu stehen. Beim Bummel durch die Häuser – zum Teil eingefallen, zum Teil als Rifugio ausgebaut – erfahre ich für einen kurzen Moment, wie schwer das Leben in dieser Höhenlage – ich befinde mich auf knapp 1.800 Höhenmetern – einst gewesen sein muss. Klirre Kälte zieht durch die engen Gassen. Und das obwohl es erst Anfang Herbst ist und der Winter noch in weiter Ferne.
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Aostatal – Valle d’Aosta, bei denen ich mich gleichzeitig für die Unterstützung auf
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