Ein eisiger Wind pfeift mir um die Nase, als ich nach schier endloser Fahrt endlich im Oderbruch, genauer in Groß Neuendorf ankomme. Der Himmel ist genauso weiß wie der Schnee und gibt der Sonne leider so gar keine Chance, die eiskalte Luft wenigstens ein bißchen zu erwärmen. Ich packe mich warm ein, ziehe die Mütze noch ein Stück tiefer ins Gesicht und wickle den Schal enger. Schließlich bewegen sich die Temperaturen im zweistelligen Minusbereich. Und das möchte ich schon ganz gern noch ein Weilchen aushalten.
Trotzdem das Wetter wenig einladend wirkt, hat es jede Menge Schaulustige aus ihren Häusern geholt. Der Parkplatz des verschlafenen Orts ist dementsprechend gut gefüllt. Normalerweise empfehle ich ja immer eine Anreise mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), wovon hier jedoch abzuraten ist. Die Randgebiete Brandenburgs sind nämlich mal so richtig schlecht mit den Öffis erschlossen. Am Wochenende würde man vom Alexanderplatz in Berlin bis hierher knapp 4 Stunden für die gut 80 Kilometer benötigen. Einmal hin und zurück entspräche dann quasi einem normalen Arbeitstag. Den man ja dann in Bus und Co. oder darauf wartend verbringen würde. Hand aufs Herz: das macht überhaupt keinen Sinn. Daher habe ich mich ausnahmsweise mal für das Auto entschieden.
Naturphänomen Oderbruch
Warum es so viele Menschen an diesen Ort zieht wird mir schlagartig klar, als ich über den Hochwasserdamm laufe und die Oder vor mir erblicke. Deren Schilf und Ufer sind in dickes Eis gepackt und über den Teil des Flusses, der nicht zugefroren ist, treiben große Schollen. Die gleiten überraschend schnell auf dem Strom dahin und zischen leise wie Gänse, wenn sie einander berühren. Diesem Klang und ihrer vermuteten Herkunft verdanken sie ihrem Namen. Der Volksmund kennt zwar viele Geschichten um dieses Naturphänomen, weiß aber auch nichts genaues. Stoisch nennt er sie seit jeher „Brieger Gänse“.
Aus alten Büchern liest man immer wieder die Bezeichnung heraus und hat sie sich wohl in der Erinnerung der Menschen eingebrannt. Vermutet wird, dass die Eisschollen in den Oder-Buchten bei Brzeg (ehemals Brieg) entstehen und von dort über Wroclaw und Głogów bis hinauf zur Ostsee treiben. Das ist letztlich ein ziemlich lange Strecke, die die „Brieger Gänse“ da zurücklegen.
Entlang der Oder durchs Oderbruch
Dem Fluss oberhalb folgend pfeift der Wind mit eisiger Wucht. Zum Glück gibt es direkt daneben einen asphaltierten Radweg der zwar windstill ist, mir aber die Sicht auf den Fluss versperrt. So wandere ich mal ober-, mal unterhalb entlang. Je nachdem, wie kalt mir gerade ist. Begleitet werden meine Schritte auf knirschendem Schnee vom lauten Rufen der Kraniche, die über mir ihre Bahnen ziehen, und dem quietschenden Zischen des Eises. Traumhaft schön ist es hier im Oderbruch.
Normalerweise würde mich der weitere Verlauf der Wanderung, die ich mir rausgesucht habe, bis nach Hohenwutzen knapp 28 Kilometer weiter nördlich bringen. Da es dann aber doch zu kalt ist und die Restaurants und Gasthöfe unterwegs aufgrund der zur Zeit geltenden Bestimmungen geschlossen sind, lasse ich mich knapp 12 Kilometer später im beschaulichen Örtchen Zollbrücke wieder abholen. Der Ort verfügt zwar auch über eine Bushaltestelle, die wird aber nur viermal am Tag angefahren. Wer hier den letzten Bus verpasst, muss dann wohl eine Nacht an diesem idyllischen Ort verbringen. Ehrlich gesagt kann ich mir schlimmeres vorstellen…
Tipps & Infos
HINKOMMEN.
– Mit dem ÖPNV eher schwierig. Wer es dennoch versuchen möchte, kann auf der Webseite des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg sein Glück versuchen.
– Mit dem Auto bis zum Verladeturm in Groß Neuendorf. Dann muss man aber woanders wieder abgeholt werden oder geht einfach ein bißchen spazieren. Ist auch schön.
AUSRÜSTUNG.
Für diese Wanderung benötigt es keine besondere Ausrüstung. Außer im Winter. Da kann es zuweilen zugig und bitterkalt werden und empfiehlt sich sehr, sehr warme Kleidung.
UNTERKUNFT.
Wer den Oder-Neisse-Radweg entlang laufen (oder fahren) möchte, findet unterwegs jede Menge Übernachtungen und Restaurants. Für einen Weg zu Fuß empfehle ich die Ferienwohnungen in Bahnwaggons direkt am Ufer oder die wunderbare Pension in Zollbrücke.
ESSEN & TRINKEN.
Unbedingt was Einpacken. Egal ob im Sommer oder Winter – der Weg ist lang und nicht immer ist garantiert, dass die Restaurants unterwegs offen haben (Ruhetage und so).
BESONDERER TIPP.
Wenn es mehrere Tage hintereinander auch tagsüber Minusgrade hat, bekommt man eine gute Chance, die „Brieger Gänse“ einmal live zu sehen. Einen tollen Artikel darüber gibt es bei der MOZ. // AUCH: Viele weitere Infos & Tipps rund ums Oderbruch gibt es im Blog von Heike Dahl.