Henro: Pilgern auf Japanisch – #Buchvorstellung

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Pilgerwege gibt es viele. Der älteste von ihnen ist der Henro in Japan und dort auf der japanischen Insel Shikoku. Seit dem 9. Jahrhundert begeben sich Wanderer und Pilger auf seine Wege. Ihnen folgt Lena Schnabl, die in ihrem gerade erschienen Buch „Meine Suche nach dem Nichts“ humorvolle Einblicke in einen sehr persönlichen Weg gibt. Eine Buchvorstellung.
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  Inhalt

Der Henro auf der japanischen Insel Shikoku

Henro ist der Name eines Pilgerwegs in Japan und steht sinngemäß für „Vollständige Umrundung“. Als Schutzpatron und Initiator gilt der buddhistische Zen-Meister und Mönch Kobo-Daishi. Im 9. Jahrhundert soll er an den unterschiedlichsten Orten auf der japanischen Insel Shikoku, auf der er auch geboren und gestorben ist, jede Menge Eingebungen gehabt und Spirituelles bewirkt haben. Ihm zu Ehren wurden insgesamt 88 Tempel errichtet, die auf dem Henro miteinander verbunden sind. Sie führen einmal um die gesamte Insel herum und bilden somit den ältesten Pilgerweg der Welt. Meist in Küstennähe führt der Weg über hohe Berge und entlang angrenzender Klippen. Das macht am Ende und in Summe knapp 1.300 Kilometer und kann für jede Menge Blasen an den Füßen sorgen.

So wie bei Lena Schnabl, einer Japanologie-Studierten und deutschen Journalistin. Nach langer Krankheit und zäher Genesungsphase stellt sie sich der Herausforderung, diesen Weg zu laufen. In der Präfektur Tokushima beginnend ist sie gezwungen, sich mit den Nachwirkungen ihrer Erkrankung, voller Hassliebe als „Dämon“ bezeichnet, auseinanderzusetzen und mit den müßigen Qualen einer Langstreckenwanderung anzufreunden. Immer wieder verführen körperliche Schwäche und Anstrengung zum Abbruch, stellen aber auch gewohnte Muster in Frage. Achtung Spoiler: Natürlich bricht sie nicht ab. Sie geht den gesamten Weg einmal um die Insel herum und hat nun im Nachgang ihre Aufzeichnungen zusammengetragen und veröffentlicht.

Lena Schnabel „Meine Suche nach dem Nichts“
Lena Schnabel „Meine Suche nach dem Nichts“ – Cover und Umschlag

Worum gehts?

In ihrem seit dem 20. Mai erhältlichen Buch* „Meine Suche nach dem Nichts“ beschreibt sie unterwegs gesammelte Eindrücke und persönliche Erfahrungen an der Grenze zwischen europäischem Selbstverständnis und japanischer Kultur. Als Kennerin des Landes, sie lebte mehrere Jahre in Sapporo und Tokio, vermittelt sie deren Umgangsformen und trägt so zum Verständnis einer fremden und aus europäischer Sicht zumeist eigenwilligen Mentalität bei. Abstraktes Verhalten wird nahegebracht und aus kuriosem Auftreten verständnisvoller Umgang.

Ich glaube, Heimat ist ein Gefühl der Geborgenheit, und man kann es fast überall finden, wenn man in sich selbst zu Hause ist.

Lena Schnabl

Wie scheinbar auf allen Pilgerwegen üblich, werden auch hier Situationen beschrieben, die einem Wanderer auf dem Jakobsweg in Spanien oder der Wallfahrt nach Jerusalem bekannt vorkommen dürften. Ein jeder, der solche Wege geht, hat zum eigentlichen Rucksack, dem Backpack, auch noch ein unsichtbares Päckchen zu tragen, das er zu verarbeiten sucht. Gerade ihre emotionale Auseinandersetzung mit der nicht näher bezeichneten Person „R“ decken viele Verhaltensmuster auf und stellen sie gleichzeitig in Frage. Für mich einer der interessantesten Abschnitte des Buches.

Lena Schnabel auf dem Henro

„Meine Suche nach dem Nichts“ – Mein Eindruck

Wer eine Routenbeschreibung des Henro oder einen Wanderführer erwartet wird enttäuscht. Das Buch ist eine sehr persönliche, ja fast schon spirituelle Auseinandersetzung mit dem Weitwandern und dem eigenen Ich. Trotz schwerer und langer Krankheit ist es der Autorin jedoch gelungen, ihren verletzlichen Humor, vor allem im Umgang mit sich Selbst, zu bewahren. Anekdoten und Beschreibungen sind nachvollziehbar, gerade auch und in Bezug auf sich selbst und darüber hinaus japanischer Traditionen.

Die Chance hat ein flüchtiges Zeitfenster, wie so oft im Leben.

Lena Schnabl

Zum Beispiel führt ihre Weigerung, in den Tatamiräumen das entsprechende Schuhwerk anzulegen, zu so manch unterhaltsamen Konflikt. Der kann überdies auch als Spiegel ihrer inneren Entwicklung verstanden werden. Sich nicht jeder Unsinnigkeit beugen zu wollen. Tradition hin oder her. Auch die Verwendung von Spitznamen wie „Brett des Ostens“ oder „Der Heilige“ statt der für unseren Kulturkreis schwer zu lesenden japanischen Namen tragen zum Schmunzeln während des Lesens bei.

Auch im Nichts lässt sich durchaus etwas finden

Insgesamt ist das Buch eine empfehlenswerte Lektüre, die – einziger Kritikpunkt – auch gut und gern etwas kürzer hätte ausfallen können. Mit seinen 412 Seiten ist es schon ein kleines Schwergewicht. So verrennt sich die Autorin für meinen Geschmack manchmal zu oft in Wiederholungen, die, wenn auch nur nebenbei, dann doch etwas das Tempo aus der Erzählung nehmen. Dem Lesefluss hätte eine deutliche Straffung gutgetan.

Dennoch empfehle ich das Buch all jenen, die sich nicht nur für japanische Kultur, den Henro-Pilgerweg oder Langstreckenwanderungen an sich interessieren, sondern vor allem Interesse an individuellen Entwicklungen auf einem solchen Weg haben. Viele ihrer unterwegs aufkommenden Gedankengänge sind mehr als nachvollziehbar. Sie sind naheliegend. Ein Pilgerweg ist eben auch immer eine ganz persönliche Erfahrung.

Ein Lesetipp.


Meine Suche nach dem Nichts

Geschrieben von Lena Schnabl
Erschienen beim Goldmann Verlag
416 Seiten | ISBN 978-3-442-15980-2
€ 14,00 [D]

Vielen Dank an den Goldmann Verlag für die Zur­ver­fü­gung­stel­lung des Rezensionsexemplars.


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