So gut schlief ich selten in einem Bett, das kürzer ist, als ich. Die ruhige Umgebung, das köstliche Mahl und die frische Landluft trugen ihres dazu bei, mir und uns eine angenehme Nacht zu bescheren. Auch die Sonne schiebt sich schon frühzeitig durch die Bäume und verspricht bestes Wanderwetter. Immer noch bin ich mit meinem Bruder unterwegs und freue mich über jeden einzelnen Tag. Nicht nur der Gespräche wegen, sondern auch aus Freude, endlich wieder wandern zu können, unterwegs zu sein. Zu selten lässt der Alltag das zu. Und immer öfter vermisse ich es schmerzhaft. Nach einem herzhaften Frühstück verlassen wir Jedlová und begeben uns weiter auf unserem Weg durchs Lausitzer Gebirge. Nächster Halt: Chřibská.
Durch das Lausitzer Gebirge von Jedlová nach Na Tokáni (20 km)
Nach den ersten Kilometern komplett durch Wald werden wir von Chřibská überrascht. Schon der Ortseingang nimmt fast kein Ende. Kilometer später stehen wir an einer stark befahrenen Kreuzung, tosenden Lärm inklusive. Dennoch machen wir hier eine Pause, stärken uns mit frischen Lebensmitteln aus dem Krämerladen an der Kreuzung und beabsichtigen, die Kirche zu besichtigen. Doch diese ist geschlossen. Auch die umgebenden Gebäude zeugen eher vom Verfall. Auf dem angrenzenden Friedhof finden wir viele deutsche Namen. Typisch für eine Gegend, die lange Zeit deutsch besiedelt war und scheinbar immer noch nach einer neuen Identität sucht.
Den Trubel hinter uns lassend ziehen wir weiter in Richtung Spravedlnost – zu deutsch: Gerechtigkeit –, einem sagenumwobenen Berg nahe Doubice. Zwar soll hier letztmalig 1579 der Scharfrichter seiner Tätigkeit nachgegangen sein, doch die beängstigende Stille, der meterhohe Farn an seiner Nordflanke und die aufrechten Basaltstelen lassen auch heute noch erahnen, wie gruselig damals Recht durchgesetzt wurde. Der Aufstieg macht zwar atemlos, dennoch pausieren wir nur kurz. Zu eigentümlich, zu gespenstisch ist die Ruhe auf diesem Berg, der vor über 500 Jahren so viele Sterbende gesehen haben muss. Selbst die Vögel meiden ihn, Stille wird hier hörbar.
Sozialistischer Gruß in Doubice
Über flach abfallende Wiesen und vorbei an einsamen Höfen gelangen wir wenig später nach Doubice. Obwohl der Ort klein und verstreut wirkt, empfangen uns Menschenmassen. Direkt am Ortseingang hat ein Restaurant samt Freilichtmuseum seine Pforten geöffnet und bietet bizarre Kunst inmitten zurückgelassenem Kriegsgerät. Das scheint Tagesausflügler anzuziehen. Vom sowjetischen Panzer bis zur geschnitzten Statue; vom steinernen Lenin bis zum Gnom aus Holz: hier ist alles zu finden. Auch wir schauen uns diese Ausstellung zum Teil belustigt, zum Teil beängstigt an. Trödel, Kitsch und kein Kommerz. Komplett umsonst und draußen. Das es so etwas heute noch gibt?
Hinter Doubice folgen wir kurz der Straße, bis der Wanderweg uns zurück in den Wald führt. Sofort umgibt uns wieder Ruhe. Ich habe nie verstanden, warum es die Wanderer des Elbsandsteingebirges so selten in die abgelegenen Winkel führt. Da tummeln sie sich zu Hauf auf der Bastei, und hier – nur eine Handvoll Kilometer weiter – ist keine Menschenseele unterwegs. Umso besser für uns, so können wir weiterhin ungestört unseren Gedanken und Gesprächen nachgehen.
Weils so schön war: Na Tokani
Der Weg schlängelt sich durch die Felsen, die jetzt, in die Nähe der Böhmischen Schweiz, immer häufiger auftauchen. Auch unser heutiges Tagesziel ist nicht mehr weit: Na Tokáni. Als ehemalige Jagd- oder besser Balzhütte wurde sie im späten 19. Jahrhundert errichtet, mehrmals renoviert und umgebaut, bis sie zu dem touristischen Highlight wurde, welches sie noch heute ist. Wer Lust verspührt, abgeschieden jeglicher Zivilisation und inmitten von Sandsteinfelsen zu übernachten, wäre hier genau richtig. Wie schon auf unserer Wanderung durch die Böhmische Schweiz im Jahr zuvor, finden wir hier ein Bett und eine hoffentlich ruhige Nacht.