Inhalt einer Pilgerreise
Harold Fry – Pensionär und Ehemann – einfaches Gemüt, ein wenig kauzig vielleicht, auch emotional von einfacher Natur – kurzum ein Mann, wie sich die Vorstellungskraft einen Rentner so eben vorstellt. Das Kind aus dem Hause lebt er mit seiner Frau zurückgezogen und verhalten in Kingsbridge, einem kleinen Städtchen im Südwesten Englands. Die Nachbarn – ja, da gibt es welche, doch näher bekannt mit ihnen ist man nicht. Die Pflege des Gartens und der alltäglichen Rituale, auch Streitigkeiten, fordert alle Aufmerksamkeit.
Eines Tages bricht jedoch das Unglück über ihn in Form eines rosafarbenen Briefes herein. In diesem beschreibt eine Arbeitskollegin aus längst vergangenen Tagen in knappen Zeilen ihren nahenden Tod in Form einer fortgeschritten Krebserkrankung. Emotional völlig überfordert verfasst Harold ein Antwortschreiben. 3 Zeilen später ist der Brief geschrieben und Harold begibt sich auf den Weg zum nächsten Postkasten. Von seiner eigenen textlichen Knappheit irritiert, überlegt er kurz vor Einwurf des Schreibens, ob er diesen auch wirklich abschicken soll und lässt sich bis zum nächsten Briefkasten noch ein wenig Bedenkzeit. Doch auch dort angekommen ist er noch immer nicht überzeugt, geht weiter zur Post, vielleicht kommt die rettende Idee ja dort.
Und die kommt. Denn auch die auf seinem Weg nach der Post folgenden Briefkästen und die herannahende Stadtgrenze führen nicht zur gewünschten Überzeugung und so beschließt Harold kurzerhand, den Brief persönlich vorbei zu bringen. Zu Fuß und ohne Ausrüstung macht er sich auf den Weg. Das Dilemma: das Sterbehospiz, in welchem die einstige Kollegin jetzt lebt, liegt in Schottland – 800 Kilometer von Kingsbridge entfernt. Doch das ist für Harold kein Hindernis, sondern die erste wirkliche Herausforderung seines Lebens. Eine Pilgerreise beginnt, die alles verändern soll…
Meinung
Es ist kein religiöses Buch. Auch kein Reisebericht oder Schmöker übers Wandern. Nein, Gott sei Dank ist es ein wirklich tolles Buch, eine Therapie vom Alltag. Denn gemeinsam mit Harold begibt sich der Leser nicht nur auf die Pilgerreise quer durch England, sondern ebenso hinein in die psychischen Untiefen des vermeintlich so einfach gestrickten Charakters. Er erfährt von Wahrheiten, Lügen und von Verdrängtem. Ein Seelenstriptease quasi, der hier als Offenbarung daherkommt.
Denn Pilgern steht dabei nicht als Synonym für biblischen Kult, sondern als metaphysische Reise in die Selbsterkenntnis. Die Beziehungen zu seiner Frau Maureen, seinem Sohn und zur einstigen Kollegin Queenie werden hier aufgearbeitet und längst Verdrängtes bricht sich Bahn, zeigt neue Sichtweisen auf Gelebtes und Erinnertes. Unweigerlich geschieht mit dem Leser das Gleiche. An eigene Geschichten erinnert, beginnt er Vergangenes neu zu sehen. Das gelingt Unterhaltungsliteratur nur selten. Aber dieses Buch schafft es. Denn auf mitunter humorvolle Weise verändert die Autorin die Sichtweise. Nicht nur auf Harold, sondern auch auf einen Selbst. Denn: Jeder trägt ein Päckchen mit sich.
Die Autorin dieser Pilgerreise
Rachel Joyce, geboren 1962, studierte Englisch an der Bristol University und Schauspiel an der Royal Academy of Dramatic Art in London. Ersten Schreibversuchen für die BBC als Hörspielautorin folgte 2012 mit „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ – welches auf der mit dem „Tinniswood Award“ ausgezeichneten Hörspielserie „To Be A Pilgrim“ beruht – ein Bestseller, der mit dem „New Writer of the Year Award“ ausgezeichnet und für den Booker Prize nominiert wurde. Rachel Joyce ist verheiratet und hat vier Kinder.
Rachel Joyce „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“
383 Seiten | Fischer Taschenbuch | 978-3-596-19536-7
9,99 € [D]
Ha! Und ich frage mich wann das Buch endlich entdeckt wird! Kenne das Buch schon auf Englisch, wunderbar, kann ich nur empfehlen!