Räuber hatten zu Zeiten der Grafschaften und Kaiser Hochkonjunktur im Spessart. Mussten doch wertvolle Güter und Rohstoffe von Nord nach Süd durch seine Wälder transportiert werden. Und da, wo Wertvolles wenig gesichert durch die Gegend schaukelt, frohlockt der gemeine Haudegen. Der Spessart war gefürchtet und Händler machten lieber einen weiten Bogen um ihn. Das wiederum fanden die Bewohner am Main ganz großartig. Die schlugen nämlich aus der Angst der Reisenden ihren ganz eigenen Profit. In Form von Wegezöllen galt der Fluss als teuer und nicht jeder konnte sich diesen Umweg leisten. So schien die Reise durch den Spessart eine Wahl zwischen Pest und Cholera.
Da auch wir immer auf der Suche nach geschichtlichen Hintergründen sind, schnüren mein Bruder und ich erneut den Rucksack und begeben uns auf eben diese Wege. Also die Wanderwege. Und ganz besonders in Richtung Mespelbrunn. Schwimmen wäre jetzt nicht so meins …
Von Rothenbuch nach Heimbuchenthal (15km)
Trotzdem die Nacht gewittrig und regnerisch war, erwachen wir am nächsten Morgen bei strahlendem Sonnenschein. Bereits zu dieser frühen Tageszeit herrschen recht warme Temperaturen. Damit ließe sich schon jetzt erahnen, dass vor uns ein ebenso warmer Wandertag wie der gestrige liegen wird. Das Frühstück nehmen wir auf der Hotelterrasse ein und werfen noch einen letzten Blick in die Karte. Mit knapp 15 Kilometern halten wir den heutigen Tag streckentechnisch zwar kurz, aber wenn die Suche nach einer Unterkunft nahtlos an den gestrigen Erfahrungen anknüpft, ist ein wenig mehr Zeit dafür einzuplanen vielleicht gar keine so schlechte Idee.
Vom Hotel, dessen einziger Zugang in einer Sackgasse endet, müssen wir zunächst nach Rothenbuch zurück, bevor an der nächsten Weggabelung Richtung Süden der Weg einmal mehr steil bergauf in die Wälder führt. Über diesen Umstand bin ich mehr als dankbar. Zum Einen, weil Rothenbuch im Sterben begriffen scheint und ich es damit hinter mir lassen kann, zum Anderen, weil die Sonne unerbittlich vom Himmel drückt und kühler Schatten da genau richtig kommt.
Nicht, dass man mich falsch versteht. Der Ort ist zauberhaft! Er ist idyllisch gelegen und hat durchaus Potential. Allerdings ist er aus touristischer Sicht einfach tot. Das einzige Restaurant, das Montag und Dienstag geöffnet hat ist jenes im Hotel, welches wiederum überhaupt die einzige Möglichkeit darstellt, hier übernachten zu können. Und das auf einem der Hauptwanderwege des Spessarts – der Spessartweg 1 führt direkt durch Rothenbuch hindurch! Das funktioniert am Rennsteig in Thüringen irgendwie anders, aber vor allem besser…
Tschüss Rothenbuch. Hallo Mespelbrunn!
Kurz hinter Rothenbuch, vorbei am Gipfel des Holzschnabel (426m), kommen wir recht bald am Breitsee vorbei und machen Rast. Der kleine Tümpel zwischen den Bäumen strahlt Ruhe und Gelassenheit aus, die auch von der Tierwelt dankbar angenommen wird. Wir sitzen noch nicht lang, da raschelt es im Unterholz und ein paar Rehe tauchen oberhalb des Dickichts an seinem Ufer auf. Wir verhalten uns ruhig und beobachten, wie sie zaghaft und besonnen aus dem Wasser des durchfließenden Bachs trinken. Als sie uns schließlich dann doch bemerken sind sie schneller weg als ich meine Kamera zücken kann. So ein Mist aber auch!
Vorbei an der Fachklinik Weibersbrunn überqueren wir wenig später die Autobahn A3. Diese durchschneidet den Spessart ganz gekonnt und zerlegt ihn damit in genau zwei Teile. Den nördlichen Teil, den wir bei unserer Wanderung komplett unberücksichtigt lassen und den südlichen, den wir ja eben im Begriff sind zu erwandern. Mir ist schon bewusst, dass bei der Planung von Fernverkehrswegen keine Rücksicht auf landschaftliche Attraktivität genommen werden kann. Dennoch denke ich, dass es eventuell auch eine andere Lösung gegeben hätte und man diesem einstmals zusammenhängendem Waldgebiet nicht unbedingt diese schroffe Zweiteilung hätte antun müssen. Immerhin führt der Wanderweg über eine ziemlich hohe Brücke. Damit fahren die Autos in so angenehmer Tiefe, dass ihre Geräuschkulisse nur als sonores Grundrauschen wahrzunehmen ist.
Unterwegs auf dem Eselsweg nach Mespelbrunn
Kurz hinter Brücke und A3 geht es auch gleich wieder in den Wald, der ab sofort nur noch vereinzelt durch Wiesen aufgelockert wird. Mittlerweile haben wir den Spessartweg 1 verlassen und sind auf dem Eselsweg unterwegs. Dieser ist einer der eingangs erwähnten Handelsstraßen, die seit mehr als 2.000 Jahren genutzt werden. Salz, auf den Rücken von Eseln transportiert, gab ihm den Namen und ist heute einer der beliebtesten Höhenwege des Spessart.
Wenig später kommen wir an eine Lichtung, an deren südlichem Ende ein geschmücktes Wegekreuz meine besondere Aufmerksamkeit erregt. Daran angeschlagen ein Faksimile eines Zeitungsartikels aus dem Jahre 1932. Am 2. November vor fast 90 Jahren verunglückte an genau dieser Stelle ein Flugzeug vom Typ Junkers F13. Sich auf dem Flug von Nürnberg nach Frankfurt befindend bricht direkt über dem Spessart eine Tragfläche und bringt die Propellermaschine zum Absturz. Durch dichten Novembernebel eingeschränkt gestaltet sich die Suche nach der Absturzstelle schwierig.
Nur den „rauhen Männern des Spessarts“ war es möglich, sich unter diesen Bedingungen bis zur Unglücksstelle vorzukämpfen. Doch es kommt jede Hilfe zu spät. Alle fünf Insassen, vom Oberregierungsrat Weidner bis zum Funkermaschinist Karl Frank, kommen dabei ums Leben. Was heute nur eine kurze Notiz im Panorama-Teil der Tageszeitung wäre, muss damals die Top-Story gewesen sein. Auf einer ganzen Seite, geschrieben in kleingedrucktem Altdeutsch, kann man sich in aller Ausführlichkeit über das tragische Ereignis informieren. Auch das ist ein Teil der Geschichte des Spessart.
Kurz darauf kommen wir am Forsthaus Echterspfahl an und machen Rast. Bei einem kühlen Bier und deftiger Speise ruhen wir uns aus und können auf der Terrasse sitzend beobachten, wie sich immer mehr Wolken vor die Sonne schieben. Die Luft ist drückend und schwül, eine leichte Brise setzt ein. Sollten sich meine Befürchtungen, nass zu werden, etwa bestätigen? Noch bleibt es trocken, auch wenn im Nachbartal schon der erste Donner grollt.
Vom Forsthaus Echterspfahl, dessen Name auf eine alte Sage zurück geht, wandern wir weiter durch den Ingelheimer Grund in Richtung Mespelbrunn. Und dann taucht plötzlich vor uns eines der Wahrzeichen des Spessart auf: Schloss Mespelbrunn. Der aufmerksame Betrachter des bereits erwähnten Streifens mit Liselotte Pulver in der Hauptrolle wird diesen Ort wiedererkennen. An Originalschauplätzen gedreht, wurde diesem Märchenschloss im Film eine Hauptrolle zuteil.
Ursprünglich vom Mainzer Erzbischof Johann II. von Nassau dem kurfürstlichen Forstmeister Hamann Echter geschenkt, dessen Söhne die Sage vom vorher genannten Echterspfahl begründeten, entwickelte sich das Schloss alsbald zur Schutzbastion vor den Räubern des Spessart. Auf einer Insel inmitten eines künstlich angestauten Sees und im Schutz hoher Hänge gelegen, verdankt das Renaissance-Schloss seine fast unberührte Existenz einer gewissenhaften Pflege. Auch heute noch in Privatbesitz befindend wird es von den Nachkommen der Ursprungsfamilie nach wie vor bewohnt. Eine Seltenheit in deutschen Adelslanden, die hier mit touristischen Avancen spielt und dem Besucher ein überraschendes Stelldichein bietet.
Während wir im Trockenen sitzen, toben in den Nachbartälern die Gewitter. Immer wieder wird der Himmel von Blitzen durchzogen, deren anschließender Donner mit Wucht und Stärke durch die Flure hallt. Wir verweilen viel zu lang und brechen erst viel zu spät wieder auf. Vorbei an der Gruftkapelle führt uns nun der Weg oberhalb des Ortes einmal kurz in den Wald, nur um wenig später in die nächste Ortschaft zu münden.
Ziel erreicht: Heimbuchental
Mittlerweile sind wir im Ort Heimbuchental angekommen. Auch wenn wir noch immer verschont und damit trocken bleiben, entscheiden wir uns dennoch kurzerhand, in diesem idyllischen Weiler zu nächtigen. Ich ziehe das Übernachtungsverzeichnis zu rate und siehe da, es schlägt uns hier sechs Möglichkeiten vor. Die drei Hotels, von denen eines wegen Renovierung geschlossen ist, lassen wir aus preispolitischen Gründen erst einmal außen vor. Schließlich gibt es noch drei Pensionen, die allesamt privat betrieben werden. Gleich bei der ersten haben wir Glück und ergattern ein Doppelzimmer inkl. Frühstück und eigenem Bad. Gott sei Dank habe ich meinem Impuls, das scheinbar veraltete Heft wegzuwerfen, nicht nachgegeben. Andernfalls wären wir heute sicher nicht so schnell fündig geworden. Manchmal hilft eben auch ein Strohhalm, der sonst kaum etwas taugt.
Noch während wir das Zimmer beziehen bricht draußen die Hölle los. Als hätte der Wettergott ein Einsehen mit uns, regnet es erst jetzt auch bei uns sprichwörtlich aus Kübeln und setzt die Wege binnen Minuten unter Wasser. Das Grollen der Donner in den Nachbartälern deutete bereits seit Stunden an, was sich da auf uns zubewegt. Aus dem trockenen Zimmer heraus sehe ich mir das Spektakel an und beginne zu lachen. Heute haben wir scheinbar alles richtig gemacht.
[…] Alte Handelswege – Wanderung durch den südlichen Spessart, Teil 4 30. Mai 2017 Schloss Mespelbrunn und Umgebung – Wanderung durch den südlichen Spessart, Teil 2 16. Mai […]