Der Kaukasus überrascht
Auf 1.100 Kilometern zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer erhebt sich nach dem Verständnis einiger Wissenschaftler das eigentlich höchste Gebirge Europas. Zumindest dann, wenn man der innereurasischen Grenzsetzung nach Strahlenberg folgt. Demnach wäre nicht der Mont Blanc sondern der im Kaukasus beheimatete Elbrus mit seinem 5.642 Meter hohen Doppelgipfel die höchste Erhebung unseres Kontinents. Auch wenn das in unseren Breitengraden gern anders gelehrt wird, erfährt diese Definition immer mehr Unterstützung. Zumal auch die Seven Summits der Bergsteiger eher den Elbrus in ihrer Liste verzeichnen als den französischen Berg.
Legt man diesen Konflikt zugrunde, erstaunt nicht, dass der Kaukasus noch weitere beheimatet. Zum Beispiel religiöse. Muslime leben neben Christen, Orthodoxe neben Juden, Liberale neben Sozialisten. Schätzungsweise soll es im Kaukasus 46 verschiedene Völker geben die über 40 unterschiedliche Sprachen sprechen. Genug Potenzial also auch für zukünftige Konflikte.
Noch sind im Kaukasus Reisen möglich, auf denen man sich als echter Entdecker fühlt.
Stephan Orth
Genau hierhin hat es nun Schriftsteller Stephan Orth, seines Zeichens Bestseller-Autor der beliebten Couchsurfing-Reihe, und Gulliver Theis, Fotograf für GEO und National Geographic verschlagen. An die Füße und auf die Gipfel des Kaukasus. Sie reisten in dicht besiedelte Städte und an verlassene Orte. Sie fuhren an die Meere, haben auf Hochzeiten getanzt und neue Freunde gefunden. Aber vor allem haben sie eine Schönheit entdeckt, die zwischen den Zeiten ruht, irgendwie vergangen scheint aber dann doch noch nicht wirklich gegenwärtig ist. Und auf genau diese Reise nehmen sie den Leser in ihrem Bild- und Reiseband mit.
Eine Bilderreise die nicht nur Bildband ist
Öffnet man also den schwergewichtigen Band, wird sofort klar, worum es geht. Schlagworte wie „kriegerisch“, „geheimnisvoll“ und „modern“ springen ins Auge, werden sogleich von emotionalen Bildern untermalt. Augenblicklich verführen sie den Leser in eine Region, die mancherorts noch als Geheimtipp gilt. Nur nicht unter Backpackern. Die haben zumindest Georgien und angrenzende Gebiete längst für sich entdeckt. Gefolgt sind ihnen Autor und Fotograf. In einfühlsamen Bildern und Anekdoten berichten sie von einer Welt, die zwischen kriegerischer Vergangenheit, untergegangenem Sozialismus und zeitgemäßem Selbstverständnis zerrissen scheint. Und doch im Aufbruch begriffen ist.
Alte Backpacker-Regel: Wer der Dumme ist, hat den Vorteil, sich nicht dumm stellen zu müssen.
Stephan Orth
In aussagekräftigen und einfühlsamen Texten und Fotografien beschreiben die Beiden ein Bild des Kaukasus, welches nicht nur an der optischen Oberfläche kratzt sondern tiefergehende Eindrücke und Erlebnisse vermittelt. Ergänzt werden die beeindrucken Aufnahmen, die nebenbei bemerkt echt fantastisch gedruckt sind und ausgesprochen farbecht zur Geltung kommen, von kurzen Geschichten, Anekdoten und Erklärungen Orth‘s, die insgesamt ein sehr stimmiges Bild der Region ergeben.
Zum Glück! Denn so ist es möglich, teilzunehmen an einer ganz besonderen Reise in eine ganz besondere Gegend. Und das ohne die heimische Couch verlassen zu müssen. Quasi eine Arte-Dokumentation bei der man selbst blättert und die Reisegeschwindigkeit vorgibt. Ganz nach persönlichen Vorlieben und gern auch mal als Mehrteiler in Wiederholung. Ein Buch, das mehrmals betrachtet und gelesen, vielleicht auch nur mal zwischendurch geblättert werden will. Denn ganz so wie es Autor und Fotograf unterwegs ergangen ist, geht es dem Leser. Es gibt Vielfältiges vor allem aber Unzähliges zu entdecken. Ein Geschenktipp.
Kaukasus:
Eine Reise an den wilden Rand Europas.
Geschrieben von Stephan Orth
Fotografiert von Gulliver Theis
Erschienen bei National Geographic Verlag
240 Seiten | ISBN 978-3-86690-656-3
€ 49,99 [D]
Vielen Dank an den National Geographic Verlag für die Zurverfügungstellung des Rezensionsexemplars.
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