Tschechischer Nachbar im Böhmerwald: Pancíř (1.214m)

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Gediegen, meditativ und pittoresk. So ließe sich die Wanderung auf den Pancíř im tschechischen Böhmerwald sicher auch beschreiben. Wäre da nicht eine gehörige Portion Wes Anderson gleich zu Beginn... Ein Wanderbericht.
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Neuer Tag, neues Glück, neuer Berg: Pancíř

Es ist kein Hahn, der mich am nächsten Morgen recht früh aus den Federn holt, sondern der Klang zwitschernder Vögel in der riesigen Kastanie direkt vorm Gebäude. Das Zwieseler Waldhaus, by the way das älteste Gasthaus im Bayerischen Wald, steht fast am Ende einer ruhigen Sackgasse und versprüht auch heute noch den Charme vergangener Zeiten. Im Innern holzgetäfelte Wände, breite und harte Holzbänke und vor den Fenstern diese typischen Geranien, die in langen Trauben herunterhängen. Bayrische Pracht at its best.

Nach dem wohlverdienten Frühstück machen mein Bruder und ich uns auf den Weg. Unser heutiges Ziel soll der Gipfel des Pancíř sein oder Panzer, wie er auf deutsch genannt wird. Ob der Name hier allerdings Programm ist, wage ich zu bezweifeln. Vielmehr würde ich auf die Lautähnlichkeit tippen, welche in die Übersetzung eingeflossen ist und in dieser Form dann aus einem harmlosen Berg schweres Kriegsgerät macht. Wenn da allerdings jemand besser informiert ist als ich, bestehe ich förmlich auf einen klärenden Hinweis.

Rund um Špičák gibt es viele dieser Hütten, die sich im Wald verstecken und teils zur Vermietung angeboten werden
Rund um Špičák gibt es viele dieser Hütten, die sich im Wald verstecken und teils zur Vermietung angeboten werden

Startpunkt: Špičák

Jedesmal, wenn ich die Grenze zu unseren Nachbarn übertrete, fühle ich mich in einen Wes-Anderson-Film versetzt. Alles wirkt auf dieser Seite etwas betagter und besitzt die ausgeblichene Patina vergangener, vor allem aber besserer Zeiten. So auch Špičák. Während in Bayerisch Eisenstein gefühlt jedes Haus frisch renoviert und geschniegelt im Sommerlicht glänzt, erscheint auf tschechischer Seite alles ein bißchen gemütlicher, verfallener, vergangener und vermittelt mir gleichzeitig den Eindruck, hier komme es eben nicht auf die Oberfläche an. Man kann auch in einem Haus glücklich sein, an dem kein frischer Putz angebracht wurde, die Zugangstreppe etwas eingefallen ist und der Garten wild vor sich hin wuchert. Ich mag das ja sehr. Es erinnert mich stets an die geliebten Ausflüge meiner Kindheit, wenn mal wieder Pepsi Cola & Böhmische Knödel den Kurztrip in unseren Bruderstaat versüßten. Somit beginnt diese Wanderung auch mit einer großen Portion Wehmut.

Das Gefühl noch verstärken tut der antike Sessellift, mit dem man ebenfalls auf den Gipfel gelangen kann und an dem vermutlich seit seiner Inbetriebnahme im Jahre 1971 nichts mehr verändert wurde. Einzelne Sitze mit einem pittoresken Schirmchendach gondeln langsam quietschend etwas oberhalb durch die Baumkronen. Hatte ich schon die Parallelen zu Wes Anderson erwähnt? Grand Budapest Hotel zum Beispiel könnte hier gedreht worden sein. By the way einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Während sich ein paar Lustlose gemächlich dem Gipfel entgegen ziehen lassen, wandern mein Bruder und ich knapp 3 Meter unter ihnen den gleichen Weg. Der Wanderweg schlängelt sich bis zum Gipfel ebenfalls an den Tragmasten entlang.

Auf dem Gipfel des Pancíř

Oben angekommen erwartet uns nicht nur eine richtig schöne Aussicht sondern auch eine kleine Baude nebst Restaurant und Aussichtsturm. Der ist noch original aus dem Jahr 1923 und stolze 23 Meter hoch. Zählen die zusätzlichen Höhenmeter eigentlich mit zur Gipfelhöhe? Wenn nicht, wäre der Pancíř somit 1.237m hoch und damit leider noch immer kein alpines Schwergewicht. Wir lassen uns auf der Sonnenterrasse nieder und genießen bei einem Staropramen den wunderbaren Ausblick. Dabei haben wir Glück. Bei bestem Wetter und klarer Sicht können wir in knapp 10 Kilometer Entfernung unseren gestrigen Berg aus einer ganz anderen Perspektive bewundern und auch schon einen Blick auf unser morgiges Ziel erhaschen. Einfach nur traumhaft.

Doch zurück zum Pancíř oder Panzer, wie er auf deutsch heißt. Auf einem echten bin ich zuletzt zur großen 1. Mai-Demonstration 1986 gestanden, als die Volksarmee der DDR demonstrativ ihr schweres Geschütz in meiner Heimatstadt aufmarschieren ließ und damit die Stärke des Staats zu präsentieren versuchte. Nach wie vor bin ich kein großer Freund solcher Militärparaden. Wenn eine wie auch immer geartete politische Autoriätät solche Instrumente zur Demonstration ihrer Macht benötigt, stimmt etwas Grundlegendes nicht. (Auch wenn ich als Kind das Ganze ziemlich beeindruckend fand und total aufgeregt war, in dem viel zu engen Gefährt sitzen zu dürfen.) Zum Glück gibt es das heute nur noch in entfernt sozialistischen Staaten. Und trotzdem stehe ich wieder auf einem Panzer. Auch wenn der hier genau genommen Pancíř heißt.

Die Aussicht vom Pancíř reicht bis weit in den Bayerischen Wald, hier bis zum Großen Arber.
Die Aussicht vom Pancíř reicht bis weit in den Bayerischen Wald, hier bis zum Großen Arber.

Rückweg über Železná Ruda

Die 80er scheinen zum Glück endgültig vorbei und nur noch lieb gewonnene Erinnerung. Nachdem wir vom Gipfel des Pancíř in alle möglichen Himmelsrichtungen geschaut haben, machen wir uns auf den Rückweg. Der führt vorerst zum Abfahrtshang im Süden und von dort dann weiter zur St.-Anna-Kapelle. Dieser ursprünglich 1815 errichtete Bau dient noch heute als Wallfahrtsort und wird gerade zur österlichen Kreuzprozession alljährlich aufgesucht. Entlang des Weges hinab ins Tal stehen dann auch alle 200 Meter einzelne Granitsäulen, auf denen Stationen des Kreuzgangs Jesu von ortsansässigen Malern festgehalten wurden. Da wir vom Gipfel kommen erleben wir den Leidensweg rückwärts. Im Aufstieg ergibt der also mehr Sinn. Das Ende jedoch gefällt mir so herum irgendwie besser.

Železná Ruda ist genau wie Špičák von eher rustikalem Charme. Direkt gegenüber der einzigartigen Pfarrkirche Mariä Hilf vom Stern, die mit ihrem sechseckigen Grundriss und den runden Zwiebeltürmen eher wir eine orthodoxe denn wie eine christliche Kirche wirkt, befindet sich nicht nur der allseits beliebte Billigmarkt Made in Vietnam, sondern auch das Museum für historische Motorräder. Mein Bruder fuhr in seiner Jugend ein solch betagtes Gefährt und hätte sicher Interesse an einem Besuch. Dennoch dränge ich ihn und uns hinaus aus der Stadt und damit weiter auf den Weg. Denn so richtig einladend wirkt die Mixtur aus runtergekommenen Gebäuden und sozialistischer Billig-Architektur wahrscheinlich nur im Winter, wenn Schnee all das Graue und Öde überdeckt.

Auf dem Rückweg: Biberspuren
Auf dem Rückweg: Biberspuren

Sehenswertes am Wegesrand

Der weitere Wanderweg führt uns an gleich zwei Kleinoden vorbei. Das erste ist ein waschechter Biberdamm. Direkt neben dem Weg hat sich vermutlich eine ganze Familie ihr ganz besonderes Eigenheim geschaffen. Mehrere Bäume bilden, mit zusätzlichem Geäst und Blattwerk, einen soliden Staudamm, der den kleinen Fluss an dieser Stelle mittlerweile zu einem beachtlichen Teich angestaut hat. Auch wenn wir den Nager nicht wirklich sehen, zeigen die Spuren an den noch stehenden Bäumen, dass aktuell noch Pläne für einen weiteren Ausbau verwirklicht werden. Das als Stadtkind einmal in echt zu sehen haut mich aus den Socken. Mächtig gewaltig, Egon.

Das zweite Kleinod liegt etwas abseits und wurde erst im April diesen Jahres nach einem kompletten Umbau neu eröffnet: Chata Rozhlas. Seitdem wartet das wundervolle Refugium auf seine Gäste. Im riesigen Garten stehen Holzbänke im Schatten einer alten Kastanie und laden uns zu einer letzten Pause ein. Dabei kommen wir mit dem neuen Eigentümer ins Gespräch, der stolz von seinen Plänen erzählt. Die fünf Appartements sind als Ferienwohnungen bzw. Pension konzipiert und besonders für Familien geeignet. Die Zimmer, die er uns allesamt zeigt, sind groß, mit eigener Küche, Bad sowie schlicht aber modern ausgestattet. Das Restaurant im Untergeschoss wird von ihm und seiner Frau betrieben.

Mit dem Kauf der 130 Jahre alten Jagdhütte hat sich das Paar einen großen Traum erfüllt, sagt er. Dumm nur, dass 2020 so ganz eigene Wege geht. Die geplanten Umsätze blieben bisher nämlich aus. Allerdings werden die jedoch dringend benötigt, um wenigstens Kredite abzuzahlen und laufende Kosten zu decken. Doch er schaut zuversichtlich in Richtung Winter. Erste Buchungen gehen schon wieder ein und wenn der erste Schnee fällt wird es erst richtig losgehen. Da ist er sich sicher.

Wir wünschen ihm alles Gute und lassen ein großzügiges Trinkgeld da. Wer also Lust auf einen Wanderurlaub im Böhmerwald hat: die Chata Rozhlas ist ein stilechter Ausgangspunkt dafür und eine kleiner Geheimtipp. Genau wie diese Wanderung.

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