Der frühe Vogel fängt den Wurm
Normalerweise versuche ich jeden Morgen ein wenig Yoga zu machen. Heute geht es allerdings so früh los, da klappt das nicht. Entsprechend unfit begebe ich mich nach einem schnellen Frühstück dann doch beizeiten auf den Rheinsteig und zur Loreley. Obendrein gesellt sich noch ein leichter Kater dazu. Das waren wohl gestern Abend doch ein paar Gläser zu viel. Der Wein war aber auch lecker. Was will man da machen? Ein Mensch ohne ein wenig Unvernunft lebt doch ein langweiliges Leben…
Über dem Rhein hängt der Nebel tief. Wer meinen Blog aufmerksam liest, wird wissen, ich mag das sehr. Mich beschleicht dann stets ein Gefühl von Geborgenheit und Frieden. Vermutlich, weil im Nebel kaum etwas zu erkennen ist und damit gleichzeitig ausgeblendet wird, was verstören oder gar ängstigen könnte. Auch ist es einfach schön, das Auge optisch mal zu entlasten. Bei der ganzen Ablenkung heutzutage. Ganz entspannt ins Nichts schauen… Kann doch auch mal schön sein.
Obwohl: hier ist es schade. Denn die ersten Meter der heutigen Wanderung auf dem Rheinsteig ziehen sich entlang steiler Hänge bis hinauf zum Loreley-Felsen. Angeblich genießt man auf diesem Abschnitt immer wieder fantastische Ausblicke in eine der waghalsigsten und schwierigsten Flusskurven des Rheins. Leider kann ich nur mehr ahnen als tatsächlich sehen, was sich da unten abspielt. Also vielmehr abspielen könnte. Dennoch: die Stimmung ist gerade dadurch recht mystisch und das passt ganz gut an diesen Ort.
Jungfrau, ledig, kämmt – Unterwegs zum Rheinsteig Loreley
Auf dem Felsen angekommen, wartet schon Tasmin Fetz, die zur Zeit amtierende Loreley. Und friert ein wenig, wie sie mir gesteht. Für die Temperaturen dann vielleicht doch etwas zu leicht bekleidet sitzt sie auf dem Fels oberhalb des Rheins und kämmt sich das lange, blonde Haar. Einer alten Sage nach soll die jungfräuliche Namensgeberin, und damit ja quasi eine ihrer Vorgängerinnen, die Schiffskapitäne auf dem Rhein mit ihrer Anmut und ihrem Gesang so verrückt gemacht haben, dass es immer wieder zu Unglücken kam. Die Schiffe fuhren durch ihre Ablenkung auf Riffe, Sandbänke, Felsen und verloren ihre zumeist wertvolle Fracht.
Damit das heute nicht mehr passiert, darf die moderne Loreley nur noch bei besonderen Anlässen schön sein. Kein Singen, kein Bezirzen und ganz besonders kein Ablenken der Kapitäne mehr. Die Sage wird dennoch hochgehalten. Nicht nur, dass die Wahl einer Nachfolgerin alle zwei Jahre stattfindet und sich reichlich junge Frauen aus der Umgebung dafür bewerben. Auch entsteht direkt auf dem Felsen ein neuer Mythosraum, der die Sage thematisiert und – sobald fertiggestellt – mit Klangflächen fluten wird. Stilecht beworben wird der mit blonder und leicht bekleideter Schönheit.
Mit anderen Worten: die Sage lebt. Und das auch im Ausland. Bis nach Südkorea ist Tasmin als Loreley und damit Repräsentantin des Mittelrheintals schon gereist. Die Menschen dort fahren wohl total auf die Sagenwelt unseres Kulturkreises ab, wie sie zu berichten weiß. Die Loreley ein Star in Südkorea. Und an einem Ort, wie diesem. Mystisch, traditionell und selbst im Nebel wunderschön. Wie es sich allerdings anfühlt, wenn hier alles voller Menschen ist, wage ich mir gerade nicht vorzustellen. Stattdessen genieße ich die Ruhe und Magie auf dem Loreley-Felsen.
Ach ja: vor Jahren ist bereits an Ein- und Ausfahrt der Flussschleife ein ausgeklügeltes Ampelsystem eingerichtet worden. So sollen zukünftig Unfälle vermieden werden. Egal was sich gerade oben auf dem Felsen abspielt.
Auf dem Rheinsteig
Den Loreley-Felsen im Rücken begebe ich mich nun endgültig auf den Rheinsteig. Der verlässt zwar kurz mal den Rhein, führt aber im weiteren Verlauf fast immer oberhalb des Flusses an ihm entlang. Zudem lichtet sich der Nebel langsam und gibt jetzt häufiger Ausblicke frei, die ein Innehalten lohnen. Gerade an den Weinhängen und ganz besonders am Spitznack mit seiner Felsenkanzel. Ein Instagram-Hotspot par excellence, dessen verführerischer Kraft auch ich erliege. Quasi meine ganz persönliche Loreley. Nur an anderer Stelle. Und ohne Schiff. Richtig schön ist es hier und ich verliere mehr Zeit mit dem Genuss der Aussicht, als eingeplant.
Während gut 100 Meter unter mir riesige Schiffe gegen die Strömung ankämpfen, bleibe ich an allen möglichen Stellen stehen und genieße den Ausblick. Dabei beobachte und bestaune ich die zum Teil waghalsigen Manöver. Scheinbar nur knapp schrammen zwei doch recht große Containerschiffe in einer Flusskurve aneinander vorbei. Eng geht es zu auf dem längsten Fluss Deutschlands, der hier im Oberen Mittelrheintal dann doch überraschend schmal ist.
Steig kommt von Steigen – Rheinsteig Loreley
Nach dem Aussichtspunkt „Waldschule“, der auch mit einer Schutzhütte für schlechtes Wetter aufwarten kann, komme ich in den Genuss zu erfahren, warum der Rheinsteig eigentlich Steig heißt. Ab hier geht es nämlich steil bergab. Und danach gleich wieder bergauf. Was aber auch gut ist und gut tut. Ich mag es immer sehr, die Anstrengung zu spüren und zu wissen, nach der nächsten gibt es wieder etwas Tolles zu sehen.
Und ganz nebenbei ist das auch die Königsetappe des gesamten Rheinsteigs. Was übersetzt soviel bedeutet wie: die längste. Und die mit den meisten Höhenmeter. Da frohlockt doch der Semi-Alpinist in mir: knapp 22 Kilometer und gut 750 Höhenmeter jeweils im Auf- und im Abstieg – na, das ist doch nichts! Reichlich Zeit sollte aber unbedingt dafür eingeplant werden. Ich erwähnte es bereits: die Aussichten fesseln länger als gedacht.
Burgen und Geschichte
Nach den Resten der nie vollendeten Burg Herzogenstein, von der nur noch mit geübtem Auge überhaupt etwas zu erkennen ist, mäandert der Rhein entspannter dahin. Was aber nicht bedeutet, es gäbe nichts mehr zu sehen. Ganz im Gegenteil. Während am anderen Flussufer das mittelalterliche Städtchen Oberwesel in den Fokus rückt, heißt es am Roßstein glatt noch ein wenig Klettern. Alles gut gesichert und überhaupt nicht gefährlich. Aber die Höhenmeter wollen ja auch irgendwie errungen werden. Geschenkt wird einem hier nichts.
Gratis dagegen ist der Blick auf bereits erwähntes Städtchen gegenüber. Wie sich die scheinbar komplett erhaltene Stadtmauer durch die Fachwerkhäuser zieht, mittendrin noch eine Burg, zwei Kirchen sowie zahlreiche Wehrtürme, die das altertümliche Stadtbild komplettieren – das ist schon einmalig. Und wunderschön. Ein Hoch auf Petrus, dass er doch noch ein Einsehen hat und mir diesen Eindruck nicht vorenthält.
Kleiner Exkurs, denn das kann und sollte man vielleicht auch noch wissen: das Obere Mittelrheintal ist UNESCO Welterbe. Eben genau auch aus diesem Grund. Erste Siedlungen entlang des Rheins gehen bis weit auf die Kelten zurück. Zumindest lassen das Fundstücke vor Ort vermuten. Den richtigen Drive gaben dann aber die Römer, die ja wohl auch den Weinbau mitbrachten, der heute zum Exportschlager schlechthin generierte. (Ich sag nur: Kater. Aber der hat sich zum Glück mittlerweile genauso verzogen wie der Nebel.) Einige Kriege und Steuerabgaben später entstand dann das, was ich heute hier bewundern darf. Eine perfekte Symbiose aus formvollendetem Handwerk und ursprünglicher Natur. Phänomenal und zurecht schützenswert.
Tagesziel: zweiter Kater. Muskelkater.
Bevor der Rheinsteig Loreley einen kleinen Schlenker rüber zur Ortschaft Dörscheid macht, bietet sich an der Schwedenschanze noch einmal ein Panoramablick vom Feinsten. Von Oberwesel habe ich ja nun schon genug geschwärmt. Dafür sehe ich hier zum ersten Mal mein heutiges Tagesziel. Inmitten des Rheins steht weiß und unschuldig die Burg Pfalzgrafenstein, umgeben vom ruhig strömenden Fluss. In ihrer Bauweise an ein Schiff erinnernd, stand und steht die Zollburg an genau der richtigen Stelle. Nirgendwo sonst ließen sich Schiffszölle direkter eintreiben als mitten im Wasser. Kurz anlegen, Zeche zahlen, weiter gehts. Praktisch. Und wer nicht zahlen konnte wurde gleich an Ort und Stelle inhaftiert. Äußerst praktisch.
Doch vorerst geht es noch oberhalb des Rheins mitten durch bewirtschaftete und auch zum Teil offen gelassene Weinhänge. Offen gelassen meint hier: nicht mehr genutzt. Die Rebstöcke sind sich selbst überlassen oder an andere Hänge versetzt. Zu schwer ist die Arbeit, die aufgrund der steilen Hangneigung von bis zu 70% kaum maschinell unterstützt werden kann und fast ausschließlich von Hand erledigt werden muss. Da hat so mancher Winzer keinen Nachfolger gefunden und von den 2.200 Hektar Rebfläche zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind es heute gerade mal noch 467 die bewirtschaftet werden.
Apropos: durch einen dieser Weinhänge, deren Zukunft ungewiss ist, wandere ich auf den letzten Kilometern dieser Etappe des Rheinsteigs. Bei der gestrigen Weinprobe waren nämlich auch Rieslinge vom Weingut Hillesheim dabei. Dessen erwachsene Kinder haben keine Lust, den elterlichen Weinbau fortzuführen. So sucht Wolfgang Hillesheim krampfhaft einen Nachfolger, der das gerade auf rein biologischen Anbau umgestellte Gut übernehmen will. Wenn also jemand Jemanden kennt, der im Bio-Weinbau bewandert ist und keine Scheu vor steilen Hanglagen hat, der soll sich doch unbedingt mal bei ihm melden. Zu schade, wenn der so köstlich schmeckende Saft dieser Reben zukünftig versiegen würde…
Klappe final: Kaub.
Ab hier geht es dann auch leicht beschwingt auf die letzten Meter der heutigen Rheinsteig-Etappe. Ein lang gezogener Pfad um den Hardungsberg, eine steile Stiege bergab, Treppen, Kopfsteinpflaster, enge Gassen, unter einer Brücke hindurch… et violá: schon stehe ich wieder am Rhein. Direkt hinter mir steht auf einem riesigen Granitsockel in zwei Metern Höhe die übergroße Bronzestatue Blüchers. Genauer gesagt: Gebhard Leberecht von Blücher, auch bekannt als „Marschall Vorwärts“. Moment. Da war doch mal was. Wer jetzt an verlorene Schlachten Napoleons denkt, insbesondere die von Waterloo, der weiß sicher auch, wer Blücher war. Ein europäischer Kriegsheld. Fast jede Stadt verehrt den Mann. Straßen, Schiffe und Restaurants sind nach ihm benannt. Auch oder gerade hier in Kaub.
An genau dieser Stelle, auf die er zeigt, soll er schließlich mit seinen Truppen 1814 über den Rhein marschiert sein. Oder besser: über Nacht errichtete Pontons ermöglichten überhaupt erst eine Überquerung des Flusses. Da der Rhein auf einer Länge von fast 70 Kilometern auch heute noch über keine Brücke verfügt, muss das ein ganz schöner Kraftakt gewesen sein – rund 50.000 Soldaten, entsprechend viele Pferde und Geschütze. Das Ganze in nur 5 Tagen. Hut ab. Daher danken ihm die Nachkommen mit grenzenloser Verehrung, einem prominenten Denkmal direkt am Rhein und einem ganzen Museum in Kaub. Das hat aber leider schon geschlossen.
So verweile ich noch einen Moment am Fluss, atme die frische Luft und spüre deutlich die knapp 22 Kilometer und 750 Höhenmeter in meinen Beinen. Abschließend kann ich behaupten, dass ich ehrlich gesagt gar nicht weiß, ob dieser Abschnitt tatsächlich der schönste des ganzen Rheinsteigs ist. Aber eines weiß ich mit Sicherheit: er ist megaschön.
Tipps & Infos
HINKOMMEN.
– Mit der Bahn bis zum Bahnhof St. Goarshausen. Der Wanderweg startet unweit und ist ausgeschildert.
– Mit dem Auto nach St. Goarshausen und am Ende der Etappe von Kaub zurück mit der Bahn RB10. Die fährt alle 30 Minuten und benötigt knapp 8 Minuten für den Weg entlang des Rheins.
AUSRÜSTUNG.
Für diese Wanderung benötigt es definitv Ausdauer, ein wenig Schwindelfreiheit auf einigen Aussichten und vor allem festes Schuhwerk. Es ist ein Steig und da werden zum Teil steile Auf- und Abstiege bewältigt.
ESSEN & TRINKEN.
Beim Besucherzentrum am Loreley-Felsen gibt es einen Imbiß. Nach dem Aussichtspunkt Spitznack gibt es noch den Hof Leiselfeld. Dann erst wieder in Dörscheid im Restaurant vom FETZ – Das Loreley Hotel. Oder am Ende der Etappe in Kaub.
Aber mal ehrlich: was einpacken für unterwegs lohnt am meisten. Es gibt so viele Aussichten, die sich für eine Rast eignen, da wäre es verschenkte Zeit, in eine Gaststätte zu gehen.
BESONDERER TIPP.
Oberhalb der Weinberge vom Weingut Hillesheim kurz vor Ende der Etappe gibt es einen kleinen Schrein, in welchem man sich für einen schmalen Taler einen kleinen Umtrunk gönnen darf. Sollte man allein schon zur Belohnung unbedingt machen! Die Rieslinge aber auch die Grauburgunder sind richtig lecker und werden an genau den Weinhängen, an denen man dann steht, angebaut. Regionaler geht nicht.
OBENDREIN.
Die hier erwähnte Etappe kann man natürlich auch mit einem professionellen Wanderführer unternehmen. Unserer war Wolfgang Blum, der nicht nur als Wegepate den hier beschriebenen Weg wie seine Westentasche kennt, sondern auch viele Anekdoten und Geschichten bereithält und damit für Kurzweil unterwegs sorgt. Top-Empfehlung!
Karte & Überblick
Weiterlesen? Hier.
Felix von der Wanderzentrale.de hat passend zum Thema ein Interview mit der Initiatorin und Projektleiterin des Rheinsteigs geführt. Karin Hünerfauth zeigt ihre Liebe zur Region übrigens auch auf Instagram @hikekarin_blog.
Und natürlich haben auch meine Mitstreiter*innen vom 6. Bloggertreffen ihre Eindrücke festgehalten: Jörg von Outdoorsüchtig, Stefan aka HappyHiker, Jana von Fussläufigerreichbar, Nick der UrbanHiker, Björn von Bergparadiese, Salome für den Blog von Maier Sports und Audrey aus dem Wanderland. Habe ich jemanden vergessen? Bitte melden.
Hinweis in eigener Sache (Disclaimer)
Meine hier beschriebenen Eindrücke durfte ich im Rahmen der 6. Bloggerwanderung sammeln. Eingeladen und veranstaltet wurde diese von den Gastlandschaften der Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH. Dabei sind mir Anreise, Unterkünfte und Verpflegung zur Verfügung gestellt worden, wofür ich mich recht herzlich bedanken möchte. Auf meine abschließende Meinung wurde kein Einfluss genommen. Diese entspricht ausschließlich meiner persönlichen Sicht.