Das vergangene Jahr bedeutete für Viele großen Verzicht. Die Welt schien aus den Fugen geraten und bisher gewohntes oder lieb gewonnenes musste im Hinblick auf zukünftige Gültigkeit hinterfragt werden. Ein Umdenken wurde in dieser Zeit angestoßen – oder deutlicher – ließ sich gar nicht mehr vermeiden. Im Zuge der Einschränkungen und Bestimmungen taten sich neue Wege auf. Vor allem auch jener, der da hieß, mit einfachen Dingen glücklich zu werden.
Denn auch das Reisen war – und ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels – nicht ungemindert möglich. Vor allem für Reisefreudige hieß das eine Zwangspause vom Reisen oder vom Fliegen einzulegen. Eine Reduzierung auf heimische Gefilde. Der negativ belegte „Urlaub auf Balkonien“ musste als sommerliches Highlight herhalten, der Rest blieb der Fantasie überlassen. Und der Erkenntnis: auch diese minimalistische Form des Urlaubs kann erholsam, ja sogar abwechslungsreich sein.
Diesen Kerngedanken des „Übens von Verzicht“, um einen neuen und einfacheren Umgang mit den Dingen zu erfahren, liegt Christof Herrmann bereits seit Jahren am Herzen. Also genau zur richtigen Zeit erscheint daher sein Buch*: „Das Minimalismus-Projekt“, welches diese neuen Wege aufzeigt und dem Leser nahelegt.
Aber was genau meint Minimalismus?
Braucht es wirklich den vollen Kleiderschrank, vor dem man dann doch ratlos steht und nicht weiß, was man anziehen soll? Braucht es den Luxusurlaub auf dem 5-Sterne-Luxusliner, bei dem die Mitnahme zweier Koffer noch immer als nicht ausreichend empfunden und zudem jede Menge CO₂ in die Atmosphäre geballert wird? Ist die Auslage im Supermarkt, die vom Joghurt bis zur Marmelade unübersichtlich viele Sorten bereit hält, wirklich nötig? Wer das hinterfragt und für sich einen reduzierenden Schluss daraus zieht, ist dem Minimalismus in seinem Leben schon einen großen Schritt näher gekommen.
Denn scheinbar besitzt jeder von uns zu viel. Von allem. Und das im Überfluss. First-World-Problems halt. Bereits Marie Kondo plädierte in ihrem weltweit gelesenen Bestseller für weniger Haben und mehr Sein. Wenn die Dinge, die uns umgeben, weniger werden, lenkt uns offenbar auch weniger ab und hilft dabei, uns stärker auf das Wesentliche zu konzentrieren. In der asiatischen Philosophie ist diese Einstellung seit Jahrhunderten präsent.
Minimalismus bedeutet, sich vom Ballast zu befreien.
Christof Herrmann
Beim Minimalismus, für den das Buch* von Christof Herrmann plädiert, gibt es keine dogmatischen Regeln. Was der Eine für überflüssig hält ist des Anderen wichtigster Besitz. Der Ansatz Minimalismus dient dabei vielmehr als Orientierung oder Richtungsweiser und sitzt nach der Lektüre als kleiner Helfer im Hinterkopf. Bei jedem angestrebten Neukauf hilft er, kurz zu hinterfragen, ob diese Neuerwerbung wirklich notwendig ist. Oder ob es nicht etwas anderes gibt, das sich bereits im Besitz befindet und diese Funktion genauso gut übernehmen könnte.
Minimalismus und Wandern
Neben Tipps und Ideen für mehr Weniger im Leben widmet sich ein Teil des Buchs dem Unterwegsein und Reisen. Ganz im Speziellen dem Wandern. Als mehrfach erprobter Fernwanderer ist für Christof Herrmann selbstverständlich, was ich erst auf dem Jakobsweg in harter Schule lernen musste: jedes Gramm zu viel im Rucksack und auf dem Rücken bedeutet Gewicht. Und dieser Ballast hemmt das Vorankommen zuweilen erheblich oder führt gar zu körperlichen Beschwerden. Die Erfahrungen des Autors fließen in diese Kapitel genauso mit ein, wie Anleitungen es zukünftig anders zu machen.
Fast vom ersten Schritt an beginnt auf einer Fernwanderung die Entschleunigung. Schon nach einigen Kilometern merkt der Wanderer nämlich recht deutlich, ob er zu viel eingepackt hat und jeder Schritt schmerzt, oder ob der tatsächliche Bedarf dem Mitgenommenen entspricht. Wenn nicht, hilft nur Loslassen und sich des Zuviels entledigen. Auch in meiner Vergangenheit tendierte ich bisher dazu, lieber mehr mitzunehmen als zu wenig. Nur um am Ende festzustellen, dass es viel zu viel war. Mein ganzer Jakobsweg passte letztlich in einen 36 Liter-Rucksack. Von den 16 Kilogramm in St.-Jean-Pied-de-Port brauchte ich tatsächlich nur 6 bis nach Santiago…
Doch Minimalismus und Wandern kann mehr. Gerade in Zeiten, in denen die Abenteuer verstärkt vor der eigenen Tür aufgesucht werden, helfen neueste, wissenschaftliche Studien. Stichwort: Shinrin Yoku. Was aus dem Japanischen frei übersetzt so viel wie „Eintauchen in die Waldatmosphäre“ bedeutet, erlangt auch hierzulande unter dem Sammelbegriff „Waldbaden“ eine immer größere Beliebtheit und ist quasi ein kostenloses Wellness-Programm für die Sinne. Tipps dazu gibt es im Buch* genauso wie Anregungen, zukünftige Reisen stärker unter dem Gesichtspunkt des minimalistischen Handelns zu bewerten und dementsprechend zu entscheiden.
Vom Minimalismus Buch zu einem bewussten Leben – Mein Eindruck
Doch das sind nicht die einzigen Pluspunkte dieses Buchs. Wie der Untertitel bereits verrät, sind im 224 Seiten starken Wälzer insgesamt „52 praktische Ideen für weniger Haben und mehr Sein“ gebündelt. Vom Ausmisten des heimischen Kleiderschranks (oder Bücherregals), über Möglichkeiten den täglichen Stresslevel zu minimieren, bis hin zu leichter und damit gesünderer Ernährung umfasst die Publikation fast alle Lebensbereiche. Gleichzeitig gibt sie einfache und praxisnahe Tipps an die Hand, um damit erste Schritte in ein bewussteres und minimalistisches Leben selbst gestalten zu können.
Wie viele Dinge es doch gibt, die ich nicht brauche.
Sokrates
Auch wenn es mittlerweile gefühlt einen ganzen Haufen derartiger Bücher im Handel zu kaufen gibt, gelingt es dem Buch von Christof Herrmann dennoch, unter ihnen eine sympathische Sonderrolle einzunehmen. Mit den abgebildeten Ideen und Anregungen gibt der Autor dem Leser nämlich erste Werkzeuge an die Hand, die zumeist simpel zu bewerkstelligen, vor allem aber ganz einfach in den eigenen Alltag zu integrieren sind. Und das, ohne dabei in einen oberlehrerhaften Ton abzudriften. Das kann nicht jedes Buch von sich behaupten.
Über den Autor Christof Herrmann und sein Minimalismus Buch
Christof Herrmanns Webseite „Einfach Bewusst“ ist Deutschlands meistgelesener Minimalismus-Blog. Seit er 2006 seinen hochdotierten Job als Informatiker kündigte, 20 Kilo abnahm und sich von einer viel zu großen Wohnung trennte, gilt er als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit und Minimalismus. Eine Menge weiterer Erfahrungen, die das Buch ergänzen, sind auch auf seinem Blog zu finden: einfachbewusst.de
Das Minimalismus-Projekt:
52 praktische Ideen für weniger Haben und mehr Sein
Geschrieben von Christof Herrmann
Erschienen im GU-Verlag
240 Seiten | € 17,99 [D]
ISBN 978-3-8338-7359-1
Vielen Dank an den Autor und den GU Verlag für die Zurverfügungstellung des Rezensionsexemplars. Wer dem Blog des Autors folgen möchte, kann das gern hier tun: www.einfachbewusst.de .