Über mehrere Jahre hinweg besuchte der Maler Caspar David Friedrich die Kreidefelsen auf Rügen. Dabei durchstreifte er das Waldgebiet, das heute als Naturpark Jasmund geschützt ist und jährlich Millionen Besucher anzieht. Die meisten von ihnen machen sich vor allem auf den Weg zum berühmtesten aller Kreidefelsen, dem Königsstuhl. Dabei gibt es vor Ort so viel mehr zu entdecken. Zum Beispiel die Wissower Klinken, die Friedrich ebenfalls malte, oder die Uferidylle, die abseits des Touristenrummels erst so richtig interessant wird.
Da die Rügener Kreidefelsen damals wie heute die Phantasie zu beflügeln wissen, ist es für mich höchste Zeit, ihnen auch mal einen Besuch abzustatten. Auf den Spuren des Malers durchstreife ich das riesige Waldgebiet und entdecke unterwegs kleine Momente, die mich verstehen lassen, warum diese Landschaft auf Caspar David Friedrich einen so großen Eindruck gemacht hat, dass er sie unbedingt auf den Gemälden festhalten musste. Auf geht’s.
Entlang der Kreidefelsen auf Rügen durch den Naturpark Jasmund
Meine Wanderung zu den Kreidefelsen auf Rügen beginnt eigentlich in Saßnitz. Genauer gesagt am Busbahnhof des Ostseebades. Dort steige ich mit wenigen anderen Wanderern in die Buslinie 14 und lasse mich dank Deutschlandticket kostenlos bis zur Haltestelle Lohme fahren. Und hier beginnt eine der schönsten Wanderungen, die ich seit langem gemacht habe. Aber ich greife vor.
Kurz hinter der Bushaltestelle führt ein schmaler Pfad zwischen reetgedeckten Häusern hindurch und stößt wenig später auf den eigentlichen Wanderweg. An dieser Wegkreuzung halte ich mich rechts und folge von nun an dem wirklich gut ausgeschilderten Pfad durch einen recht lichten Buchenwald. Knapp 50 Meter unter mir rauscht das Meer und schiebt seine Wellen rhythmisch gegen die Brandung. Eine leichte Brise weht durch die Baumwipfel und untermalt das Geräusch mit einem angenehmen Rauschen. Beinahe Musik in meinen Ohren.
Hoch über der Küste schlängelt sich der Wanderweg durch dieses musikalische Eldorado und augenblicklich vergesse ich Alltag und Sorgen. Wenn die Baumwipfel den Blick freigeben, sehe ich die Weite des Meeres und kann Himmel und Wasser kaum unterscheiden. Selbst der Horizont entzieht sich meinem Blick. Von den Kreidefelsen habe ich allerdings noch nicht viel gesehen. Klar, wie auch. Schließlich gehe ich die ganze Zeit über sie hinweg.
Auf den Spuren von Caspar David Friedrich
Ab und zu kommen mir Jogger entgegen oder überholen mich. Selten auch Menschen, die Hunde ausführen. Meistens aber bin ich allein auf dem Weg. Und das ist auch gut so. Diese Landschaft ist einfach mystisch schön und lädt förmlich dazu ein, sich in einer romantischen Weltsicht zu verlieren. Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie beeindruckend dieses Naturwunder vor 200 Jahren auf jemanden gewirkt haben muss, dem die Welt noch nicht so offen stand wie unserer Generation.
Als ich dem Hochuferweg weiter folge, treffe ich wenig später auf immer mehr Menschen. Mein Verdacht bestätigt sich kurz darauf, als ich die Schilder zur Stubbenkammer und zum Königsstuhl sehe. Gut 500 Meter später stehe ich, umringt von wahren Menschenmassen, am Eingang zum berühmtesten aller Kreidefelsen auf Rügen. Ich wage zu behaupten, dass Friedrich damals wohl um das zweifelhafte Vergnügen herumgekommen ist.
Da ich es für unsinnig halte, mich in die riesige Schlange vor der Kasse einzureihen und mir der Spaß mit 12,- € Eintritt (Stand: 2023) auch einfach zu teuer ist, laufe ich einfach den Waldweg weiter in Richtung Victoria-Aussicht. Denn dieser Ausblick ist kostenlos. Und traumhaft schön obendrein. Fast wie auf dem Gemälde von Caspar David Friedrich habe ich von hier aus einen wirklich schönen Blick auf den Königsstuhl. Umgeben von hohen Bäumen, die den Blick einrahmen, blicke ich auf den weißgelben, feinkörnigen Kalkstein, aus dem der berühmte Kreidefelsen besteht.
Entlang des Hochuferweges zu den Wissower Klinken
Ab hier wird der Wald etwas lichter und ich bleibe immer wieder an markanten Stellen stehen. Zu schön ist der Blick von oben auf die flache Brandung und immer mehr der schönen Kreidefelsen kommen ins Blickfeld. Leicht geschwungen zieht sich das Ufer von Bucht zu Bucht und gibt traumhafte Ausblicke frei.
An einer dieser Stellen mache ich Rast und setze mich für einen Moment in den Schatten eines Baumes. Von der Seeseite weht eine leichte, aber warme Brise, unter mir plätschern die Wellen ans Ufer und über mir ziehen die Möwen ihre Kreise. In der Ferne sehe ich ein riesiges Frachtschiff, das vermutlich von Rostock kommend seine Fahrt nach Norden aufgenommen hat. In Ufernähe dagegen ziehen die Ausflugsschiffe ihre Runden und gewähren einen gegenüberliegenden Blick auf die Kreidefelsen. Ganz schön was los hier.
Da Caspar David Friedrich unterwegs nur skizzierte, gibt es auf diesem Weg an vielen Stellen diese kleinen Momente des scheinbaren Wiedererkennens, die sich mir beim Betrachten seiner Bilder eingeprägt haben. Ein bisschen habe ich das Gefühl, in seiner Malerei, in seiner Welt, die aus diesen Skizzen entstanden ist, spazieren zu gehen. Das ist wirklich magisch schön.
„Kreidefelsen auf Rügen“ (1818/1822)
Caspar David Friedrich besuchte die Insel Rügen erstmals mit seiner frisch vermählten Gattin Caroline Bommer in deren Flitterwochen im Jahre 1818. Das Gemälde Kreidefelsen auf Rügen [1], welches im gleichen Jahr begonnen und vermutlich erst 1822 tatsächlich vollendet wurde, fasst die Eindrücke dieses Inselbesuchs zusammen. Dabei lässt der von Bäumen umrankte Ausblick den Schluss zu, dass auf dem Gemälde sowohl die Kreidefelsen der Stubbenkammer (Königsstuhl) als auch Teile der Wissower Klinken zu finden sind.
Abgebildet sind drei Personen, bei denen man davon ausgeht, dass es sich bei der knieenden Person um den Maler selbst handelt, umringt von seiner Frau zur linken und seinen Bruder Christian zur rechten. Aus den drei Farben der Kleidung (Rot, Blau und Grün) schließt der Friedrich-Kenner Helmut Börsch-Supan auf die strenge Frömmigkeit des Malers, wobei hierbei Glaube, Liebe und Hoffnung – also zutiefst religiöse Tugenden – gemeint sein könnten. [2]
[1] Caspar David Friedrich, 1818/1822, Kreidefelsen auf Rügen, Öl auf Leinwand, 91 x 71 cm, Kunst Museum Winterthur | Reinhart am Stadtgarten, Caspar David Friedrich artist QS:P170,Q104884, Caspar David Friedrich’s Chalk Cliffs on Rügen, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
[2] Michael Robinson, „Caspar David Friedrich“ aus der Reihe „Große Meister der Kunst“, Hrsg.: Prestel-Verlag, München – London – New York, 2023, in der Penguin House Verlagsgruppe GmbH, S. 78
Auch von unten ein Blickfang
Doch dann wird es Zeit für einen Perspektivwechsel. Am Kieler Ufer steige ich die ziemlich steile Treppe hinunter und sehe die aufragenden Kreidefelsen von Rügen nun von unten. Majestätisch ragen sie bis zu 60 Meter in die Höhe und blenden mich fast im Sonnenlicht. Eifrige Wanderer, die ebenfalls die steile Treppe hinabgestiegen sind, suchen zwischen den Steinen nach Muscheln oder im angeschwemmten Seegras nach Bernstein.
Von der Idee, ein Stück des Weges unterhalb der Felsen zu gehen, verabschiede ich mich nach ein paar Schritten in beide Richtungen. Das ist zwar prinzipiell möglich, aber schwieriger und zeitaufwendiger. Außerdem ist das Wasser der Ostsee teilweise so stark an die Kreidefelsen herangekommen, dass man barfuß durch die Wellen laufen müsste, um weiter zu gehen.
Aber darauf habe ich keine Lust und steige einfach wieder die Treppen hinauf. Oben gefällt es mir auch deutlich besser. Ich folge dem Weg, bis ich kurz hinter dem Gakower Ufer auf die ersten Häuser der Hafenstadt Saßnitz stoße.
Zurück in Sassnitz
„Hah!“, denke ich mir, „det könnte ooch Berlin sein.“ Zumindest dem Namen nach. Durch einen Stadtteil, der genauso klingt wie ein Berliner Bezirk, laufe ich auf der Hauptstraße durch – Trommelwirbel – den Wedding. Allerdings sieht es hier ganz anders aus als in der deutschen Hauptstadt.
Kurz vor der Bergstraße biege ich Richtung Ostsee ab und stehe plötzlich in der Saßnitzer Altstadt. Schnucklig schön ist es hier. Die typische Bäderarchitektur gefällt nicht nur mir, sondern auch anderen, so voll sind die Terrassen der Cafés. Trotz aufziehender Wolken.
Also laufe ich weiter zur Strandpromenade und genieße auch dort ein Heißgetränk. Mit Blick auf die Hafenmole und das Wasser lasse ich diese Wanderung ausklingen. Es war schön, auf den Spuren von Caspar David Friedrich zu wandeln, der vor weit über 200 Jahren einen ähnlichen Weg zurückgelegt haben muss.
Über die Strandpromenade und den Hafen sind es dann nur noch gut 800 Meter und schon stehe ich wieder an meinem eigentlichen Ausgangspunkt: dem Bahnhof von Saßnitz. Während ich auf den Bus warte, durchstöbere ich die unglaublich vielen Fotos auf meiner Kamera und damit die Eindrücke des heutigen Tages. Denn rückblickend muss ich leider sagen: Ich glaube, ich habe mich so ein klitzekleines bisschen in diesen Weg verliebt. Das ist mir auch schon lange nicht mehr passiert… ◆
Tipps & Infos
HINKOMMEN.
↠ Mit der Bahn oder dem Bus von egal woher bis nach Sassnitz Bahnhof. Dort heißt es umsteigen in die Buslinie Nummer 14 bis zur Haltestelle Lohme. Die Wanderung wird direkt in dem beschaulichen begonnen.
↠ Da die beschriebene Wanderung keine Rundwanderung ist, macht es eher keinen Sinn mit dem Auto anzureisen. Wenn man aber dennoch unbedingt möchte, so gibt es an der nahegelegenen „Rügen-Galerie“ einen Parkplatz. Ob der allerdings was kostet oder vielmehr kostenlos ist, kann ich nicht sagen.
AUSRÜSTUNG.
Für diese Wanderung benötigt es keinerlei besondere Ausrüstung und ist sie auch als ausgedehnte Gassirunde mit einem Hund sehr gut machbar.
UNTERKUNFT.
In Sassnitz selbst gibt es von der einfachen Ferienwohnung über gute Pensionen bis hin zu Spitzenhotels alles zu finden. Eine perfekte Lage direkt an der Strandpromenade bietet dabei das Gastmahl des Meeres. Wer es etwas ruhiger mag, dem empfehle ich die Seaside Appartments Rügen.
ESSEN & TRINKEN.
Da es unterwegs so viele tolle Spots gibt, an denen man eine längere Pause mit wunderbaren Ausblicken machen kann, empfehle ich vor allem im Sommer, Essen und Trinken für ein ausgiebiges Picknick mitzunehmen. Unterwegs sind mir keine Möglichkeiten zur Einkehr aufgefallen bzw. erst am Ende der Wanderung in Sassnitz.
BESONDERE TIPPS.
↠ Den Eintritt für den Skywalk am Königsstuhl kann man sich sparen. Knapp 500 Meter weiter gelangt man zur Victoria-Sicht, die eine genauso schöne Aussicht bietet. Vor allem sieht man von dort den Kreidefelsen „Königsstuhl“ auch mal. Auf dem Skywalk läuft man lediglich darüber hinweg.
↠ Unbedingt einen Abstecher zum Wasser machen und ein kleines Beutelchen für Muscheln oder schöne Steine mitnehmen. Läuft man ein wenig am Ufer entlang, lassen sich richtig schöne Erinnerungsstücke finden.
↠ Ruhig auch mal ein paar Meter extra gehen und die kleinen Abzweigungen unterwegs mitnehmen. Zwar hat man nicht immer einen guten Blick aufs Meer, aber die Abstecher sind mancherorts von wildromantischer Schönheit.
↠ Im Sommer auch gern Badesachen einpacken. Die Wanderung endet an der Strandpromenade von Sassnitz. An dieser führen kleine Stufen ins Wasser und kann man ausgiebig baden.