Wenn ich beim Aufwachen schon gewußt hätte, wie viele Kilometer ich am Abend zurückgelegt haben werde, ich wär glatt liegen geblieben. Zudem fühle ich den gestrigen Tag auch noch in den Beinen. Doch so große Ziele wie Rogätz, Angern und das weit über die Grenzen hinaus bekannte Mose – sagt das rein zufällig irgend jemanden was? – klingen einfach zu verlockend. So humpeln Daniel und ich ans überaus leckere Frühstücksbuffett des Hotels „La Porte“ und stärken uns für die knapp 33 Kilometer der heutigen Etappe. Ziel am Abend: Wolmirstedt. Klingt wichtig – war es auch. Aber dazu später mehr.
Bertingen – Rogätz – Angern – Wolmirstedt (33km)
Die ersten Kilometer ziehen sich endlos. Das mag zum Einen an den müden und schweren Beinen liegen, zum Anderen an der ewig geraden Strecke. Der Jakobsweg teilt sich auf diesem Teilstück seine Pfade nämlich mit dem Elberadweg. Der ist natürlich asphaltiert und somit auch noch anstrengend zu laufen. Wie überhaupt Großteile des Jakobswegs durch Sachsen-Anhalt sich mit irgendwelchen Radwegen die Strecke teilen. Das hinterläßt Spuren: ein leichtes Ziehen an der Ferse und schwupps ist eine Blase da. Na toll.
Und dann: Rogätz. Eine Kleinstadt par excellence. Bereits im 12. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt, ist diese Siedlung aber tatsächlich um einiges älter. Schon im 10. Jhdt. wurden hier ein Wall mit Turm samt Burganlage als Bollwerk gegen slawische Eindringlinge errichtet. Doch außer dem sogenannten Klutturm ist davon heute leider nicht mehr viel zu sehen. Liebevoll in die Anlage eines Kindergartens eingepflegt, wird dieser Turm und die damit verbundene Geschichte stolz verehrt. Denn Rogätz zählt mit zu den ältesten Siedlungen dieser Region und darf sich obendrauf seit 1995 auch noch „Schönstes Dorf im Ohrekreis“ nennen. Na wenn das mal nichts ist.
Zu Fuß auf dem Rad-/Jakobsweg
Wieder ein Radweg, diesmal der nach Angern. Rückblickend ist mir vom schönen Angern überhaupt nichts in Erinnerung geblieben. Aber da man diese Stadt durchqueren muss, um auf dem Jakobsweg zu bleiben, müssen wir da wohl auch durchgewandert sein. Vermute ich mal. Erst im Wald hinter Angern setzt mein Erinnerungsvermögen wieder ein. Wir haben uns verlaufen. Warum die Ausschilderung ausgerechnet in den Ortschaften fabelhaft und im tiefen dunklen Wald blindlings bis überhaupt nicht vorhanden ist, bleibt mir komplett schleierhaft. So langsam zieht über diesen Umstand Frust bei mir auf. Und zu allem Überdruss setzt auch noch Regen ein. Ick bin bejeistert.
Das zaubert mir lediglich ein müdes Lächeln ins Gesicht, denn die triefnassen Klamotten an meinem Körper verhindern jegliche emotionale Reaktion jenseits geballter Fäuste.
Schricke lassen wir daher einfach mal links liegen, auch wenn das wieder einige Kilometer Umweg bedeutet und wenden uns direkt in Richtung Mose. So und nun ganz große Geschichte. Die kleine und verschlafene Ortschaft Mose wurde berühmt durch Rudolf Nebel. Nein, kein Spitzenfunktionär der FDP sondern ehemaliger Raketenwissenschaftler im Dritten Reich. Wußt‘ ich’s doch, den kennt jeder. Der besagte Herr nämlich zündete am 29. Juni 1933 auf dem Gut Mose zum ersten Mal eine unbemannte Rakete. Die flog sage und schreibe 20 Meter hoch und knapp 100 Meter weit. Rekordverdächtig. Zumindest damals. Heute zaubert mir das lediglich ein müdes Lächeln ins Gesicht, denn die triefnassen Klamotten an meinem Körper verhindern jegliche emotionale Reaktion jenseits geballter Fäuste. Aber immerhin: toll, toll. Ist gelebte und hiermit erwanderte Geschichte.
Ankunft in Wolmirstedt
Geistig zermürbt und körperlich komplett durchnässt kommen wir am späten Abend endlich in Wolmirstedt an. Aus den geplanten 33 Kilometern sind dank diverser Umwege und Verirrungen letztlich knappe 40 geworden. Gott sei dank haben die Füße das mitgemacht. Die Blasen übrigens auch. Doch ich bin müde und auch Daniel gelüstet es mehr nach einer warmen Speise, als sich jetzt noch die Geschicke dieser einstigen Metropole anzuschauen. Und so fallen wir wenig später satt und ausgepowert in die Betten unserer Pension. Die Geschichte kann warten. Morgen ist schließlich auch noch ein Tag.