Die Sagenwelt des Spessarts ist unheimlich und undurchdringlich. Genau wie die Wälder rund um Eschau. Ob das eine das andere bedingt oder umgekehrt, werde ich wohl nie wirklich herausbekommen. Sehr wohl aber, was die Bewohner seit Generationen bewegt und umtreibt. Erneut sind mein Bruder und ich auf Wanderpfaden durch den Süden des Spessarts unterwegs. Und finden mancherorts Erleuchtung. Natürlich nur im übertragenen Sinne…
Eine Region liegt im Sterben.
Gemeinsam mit meinem Bruder sitze ich am Frühstückstisch der kleinen Pension von Familie Philipp und genieße die morgendlichen Sonnenstrahlen. Durchs Fenster fällt nach dem gestrigen Regen erneut das Licht des Sommers. Auch heute scheint wohl Schwitzen angesagt. Allerdings hat sich die Luft etwas abgekühlt, so dass wir frohen Mutes und voller Tatendrang sind.
Da wir die einzigen Gäste der Pension sind, setzt sich die Herbergsmutter auf unsere Nachfrage zu uns und beginnt aus der nunmehr 40-jährigen Vergangenheit dieser Unterkunft zu berichten. Zusammen mit ihrem Mann hatte sie das Haus übernommen und weiter ausgebaut. Die Treppe zur Straße wurde erneuert, der Garten in Ordnung gebracht und der zweistöckige Bau wurde immer einladender. Während er einer regulären Tätigkeit nachging, kümmerte sie sich liebevoll und mit aller Hingabe um die Pension. Wäsche waschen, Betten beziehen, Essen kochen, Gäste betreuen. „Die Hochjahre hier im Spessart!“ beginnt sie zu schwärmen. „In den 70er und 80ern hatten wir so viele Anfragen, wir hätten glatt drei, vier Zimmer mehr vermieten können.“
Das Dilemma: Angebot & Nachfrage
Doch mit dem Fall der Mauer begann sich die Nachfrage zu ändern. Das Reisen mit dem Flugzeug wurde immer günstiger. Ferne Ziele wie das Mittelmeer oder Asien, auch Amerika rückten stärker in den Fokus der Touristen. Kleine Pensionen wie diese merken das sofort. Die Besucher blieben aus. „Ihr seid in diesem Jahr die ersten“ sagt sie etwas müde und eingefallen. „Ach nein,“ korrigiert sie. „Im April war auch schon ein Pärchen da.“ Wir haben Mitte Juni.
Auf meine Rückfrage, warum sie sich das dann überhaupt noch antue, wirkt sie etwas verloren und flüstert „Das ist doch unsere Rente!“ Das Geld des Mannes, der ebenfalls seit Jahren Rentner und zudem schwer erkrankt ist, reicht vorn und hinten nicht. Sie sind auf die Pension als zusätzliche Einnahmequelle angewiesen. Denn so war es dereinst geplant. Er geht arbeiten, verdient das Geld um die Pension aufzubauen, sie betreut sie, so dass im Alter von den Einnahmen gelebt werden kann. „Wenn das so weitergeht, muss ich die Pension schließen! Von den ganzen Einnahmen will der Fiskus ja schließlich auch noch seinen Teil.“ Der einstige Traum platzte.
Hinter vorgehaltener Hand verrät sie mir noch ihre Vermutung. „Daran Schuld hat zum Teil auch der Tourismusverband“ meint sie. „Von dort kommt überhaupt keine Unterstützung! Da wird keine Werbung für unsere Region gemacht.“ Wenn ich vergleiche, wie andere Organisationen deutschlandweit für ihr Gebiet werben, sehe ich mich gezwungen, ihr zuzustimmen. Den Spessart kenne ich nur, weil er in meiner Kindheit Träume beflügelte. Danach war er komplett auch aus meinem Blickfeld verschwunden und ist erst durch die x-te Wiederholung des Klassikers „Das Wirtshaus im Spessart“, die ich zufällig im Dritten sah, überhaupt wieder in mein Bewusstsein gerückt.
Wir danken für Ihre offenen Worte und lassen ein großzügiges Trinkgeld da. Mehr eine Spende als tatsächliche Bezahlung. Wer also mal im Spessart unterwegs ist und eine liebevoll gepflegte Pension sucht, sollte unbedingt bei Fam. Philipp in Heimbuchenthal vorbei schauen.
Von Heimbuchenthal nach Eschau (16km)
Der Wanderweg führt von Heimbuchenthal, wie könnte es auch anders sein, direkt wieder bergauf und in den Wald. Vorbei am Höhenbusch und über den Dürrenberg (422m) gelangen wir nach knapp 3 Kilometern an eine kleine Waldkapelle. Unter dichten Bäumen auf einer überschaubaren Lichtung stehend, ist auch diese wieder top gepflegt und wie vieles im Spessart geschichtlich mit einer Sage verbunden.
Demnach soll es sich zugetragen haben, dass ein betrunkener und rumpöbelnder Gatte von Frau und Kindern aus dem Wirtshaus in Heimbuchenthal gezerrt wurde. Auf dem Heimweg nach Krausenbach wütete der Mann weiter und beschimpfte Frau und Kinder. Als ihr die Geduld ausging, fragte sie ihn, „ob er sich nicht vor Gott und seinen Heiligen schäme, dass er solche Reden führe!“ Der Mann wurde rasend, griff zur Flinte, richtete sie auf die Familie und tobte: „So lass dich von Gott und seinen Heiligen beschützen!“ Der Schuss krachte und es wurde still.
Als der Blick sich lichtete lagen Frau und Kinder unversehrt am Boden. Dieser Umstand muss ihm wohl die Augen, aber vor allem das Herz geöffnet haben. Fortan war er ein liebevoller Ehemann und Vater. Aus lauter Barmherzigkeit ließ er an genau dieser Stelle die Kapelle im Wald erbauen. Ich sag’s ja; die Bewohner des Spessarts scheinen besonders gläubige Menschen.
Zwischenhalt in Dammbach
Durch das Dörnthal gelangen wir kurze Zeit später nach Dammbach. Der verschlafene Weiler wird unsere nächste Rast ermöglichen. Direkt vor der Kirche ist eine kleine Bank frei, die allerdings auch die einzige im ganzen Ort ist. Wir pausieren somit quasi im Schatten des Glaubens. Dieser Umstand festigt meine Meinung vom Spessart und der leidenschaftlichen Hingabe seiner Einwohner zu überirdischen Instanzen.
Von hier aus schlängelt sich der Weg erneut aus dem Tal hinauf, diesmal zu der höchsten besiedelten Erhebung des Spessarts. Berg mag ich irgendwie nicht sagen, da zum einen 520m nicht wirklich hoch sind und anderenorts derartige Hügel noch nicht einmal namentlich benannt werden. Dennoch sollte man sich diesen „Gipfel“ nicht entgehen lassen. Der Ausblick von dem darauf stehenden Aussichtsturm ist wirklich phänomenal. Soweit das Auge zu sehen vermag gibt es kein Hindernis, stört nichts den weiten Blick über das Gebirge. Außer vielleicht der noch höhere Funkmast direkt daneben. Aber den kann man ja mit etwas Phantasie ausblenden und ermöglicht mir immerhin ein aktuelles Foto auf Instagram.
Von der Geißhöhe zur Ruine Wildenstein
Von der Geißhöhe folgen wir wenige Meter dem Spessartweg 2 bevor wir wieder unseren eigenen Weg suchen und ins Unterholz abzweigen. Nach gut 3 Kilometern kommen wir an der Ruine Wildenstein heraus, die im Wald versteckt auch schon mal übersehen werden kann. Von der Burg, ursprünglich 1250 vom Grafen von Rieneck erbaut, stehen jedoch nur noch die Ringmauer, der Torbau und der Burgfried.
Letzter wurde über die Jahre mühsam restauriert und kann nunmehr von waghalsigen Wanderern bestiegen werden. Der Ausblick ist zwar nicht halb so spektakulär wie der von der Geißhöhe, aber dafür mittelalterlicher. Für Hobbyforscher bietet sich noch im Kellergewölbe eine Ausgrabungsstätte, die zwar überdacht und damit einsichtig ist, aber unter Androhung von Konsequenzen keinesfalls betreten werden darf. Pfff. Als ob mich so etwas abhalten würde.
Ankunft in Eschau
Von der Burgruine folgen wir dem weiteren Verlauf des Wegs und kommen gegen Nachmittag in Eschau an. Da der Ort etwas größer als die vorhergehenden ist, begrüßt uns schon am Ortseingang ein Schild mit den Gasthäusern dieser Stadt. Das Gasthaus zum Löwen hat es uns dabei besonders angetan. Da es direkt auf dem weiteren Weg liegt, laufen wir kurzerhand direkt darauf zu. Wie könnte es auch anders sein: ausgerechnet am Mittwoch hat das Gasthaus geschlossen und erreichen wir auch unter der im Fenster hängenden Telefonnummer niemanden. Einmal mehr haben wir Pech.
Die zweite Wahl fällt auf den Landgasthof zur Geißheckenmühle. Da gänzlich am anderen Ende des Ortes gelegen, frage ich vorsichtshalber telefonisch nach einem freien Zimmer. Und siehe da: wir haben Glück. Genau heute wäre noch ein Doppelzimmer frei.
Abendlicher Bummel durch Eschau
Bevor wir uns allerdings in das heutige Schlafdomizil begeben, schlendern wir noch ein wenig durch die Altstadt. Dabei stoßen wir auf liebevoll restaurierte Altbauten, die zum Teil originalgetreu rekonstruiert sind. Besonders das historische Rathaus tut es mir an. Auch wenn heute das Bildungs- und Informationszentrum Burglandschaft (BIB) darin untergebracht ist, versprüht das mittelalterliche Fachwerk romantische Eindrücke vergangener Tage. Auf der hauseigenen Webseite kann man sogar Eindrücke vom Inneren des Baus finden, die uns leider verwehrt bleiben. Das BIB hat nämlich bereits geschlossen. Viele der denkmalgeschützten Bauten rund um den alten Marktplatz sind auf diese Weise instandgesetzt und vermitteln ihren eigenen, ganz persönlichen Charme. Da würde ich doch mal behaupten, Eschau lohnt einen Besuch.
Auch die heutige Unterkunft verbindet Tradition mit Moderne und hat dies schon von Beginn an getan. Ursprünglich 1780 als Mühle erbaut wurde das Gebäude bereits früh mit einem zweiten Handwerk verknüpft. Wo Korn gemahlen wird liegt es natürlich nahe, dieses auch weiter zu verarbeiten. Die hauseigene Bäckerei belieferte Märkte und Kunden. Die Kraft des antreibenden Baches schien immens zu sein, so dass 1913 auch noch ein Sägewerk hinzukam. Bis 1963 wurde hier mehr oder weniger dreigleisig gefahren.
Erst Mitte der 60er Jahre wurde die Mühle umgebaut und fortan als Gasthof mit angeschlossener Küche betrieben. Die einstigen Müller/Bäcker/Schreiner sattelten demnach um und wurden Gastwirte. Doch so recht gaben sie das alte Wissen nicht auf. Diesem – und der Restaurierung des Mühlrades im Jahre 2003 – ist es zu verdanken, dass die Geißheckenmühle ihren gesamten Strombedarf aus der Wasserkraft selbst generieren kann. Ein Besuch des Mahlwerks und der daran angeschlossenen Turbine lohnen und vermitteln einen guten Eindruck moderner Nutzung scheinbar antiquierten Handwerks. Eine Seltenheit.
[…] Teil 1 Schloss Mespelbrunn & Umgebung — Wanderung durch den südlichen Spessart, Teil 2 Auf die Geißhöhe — Wanderung durch den südlichen Spessart, Teil 3 Alte Handelswege — Wanderung durch den südlichen Spessart, Teil […]
Einiges wird in diesem Bericht leider falsch dargestellt: Der Spessart ist sicher keine sterbende Region. Erst 2016 gab es wieder Allzeit-Rekordbesucherzahlen bei den Übernachtungsgästen – das dritte Mal in Folge. Jedes Jahr besuchen ca. 17 Millionen Tagesgäste den wunderschönen Spessart und nutzen die touristischen Angebote. Viele Hotels investieren Millionen zum Ausbau des Bettenangebots und zur Modernisierung.
Die Tourismusverbände werben seit Jahren kontinuierlich mit einer klaren Strategie – so wurde z.B. das RÄUBERLAND erst 2016 als „Qualitätsregion Wanderbares Deutschland“ ausgezeichnet – als einzige von nur 4 Regionen bundesweit.
Wenn der Autor den Spessart aus dem Bewusstsein verloren hat, gilt das sicher nicht für alle unsere Gäste. Beispielhaft seien hier nur Berichterstattungen in der Brigitte, abenteuer & reisen, Gewohl, ntv.de etc. erwähnt, die in den letzten Monaten schon über den Spessart als Urlaubsregion erfolgt sind.
So unbekannt ist er nicht, der Spessart, dafür sprechen auch die ca. 2,5 Millionen Übernachtungen pro Jahr!
Der Spessart liegt nicht im Sterben – er ist quicklebendig!
Hallo Michael,
willkommen im Blog und vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Über solche Meinungen freue ich mich riesig, heißt das doch, dass meine Artikel auch tatsächlich gelesen werden. 😉
Im Grunde ist der Artikel ja Teil meines Blogs und damit schlussfolgernd auch meiner subjektiven Wahrnehmung. Sicher, diese basiert weniger auf statistischen Werten als vielmehr auf meinen gemachten Erfahrungen und gesammelten Eindrücken. Grundlegend stehe ich jedoch zu meiner Behauptung. Andere Tourismusverbände wenden bedeutend mehr finanzielle Mittel für überregionale Werbung auf, als die Tourismusverbände rund um und im Spessart. Da sei zum Beispiel die sehr erfolgreiche Kampagne des Tourismusverband Sächsische Schweiz e.V. erwähnt, die letztes Jahr sogar am Berliner Alexanderplatz mit einem Foto des Gebirges und dem Spruch „Hier hat auch der Alexander Platz!“ für ihre Region warb. Oder der Tourismusverband Harz, der seit Jahren sehr erfolgreich die Hexe als Wahrzeichen vermarktet, auch über die Landesgrenzen hinaus. Und das vermisse ich irgendwie beim Spessart.
Gerade der Harz ist zumindest von der Fläche mit dem Spessart vergleichbar. Knapp 2.230 km2 groß ist er nur 200 km2 kleiner als der Spessart, weist aber mit 6.327.667 Übernachtungen im Jahr 2015 fast dreimal so viele wie der Spessart aus (Statistik auf Seite 18 im PDF). Bei einer Statistik des Instituts Statista schafft der Spessart es noch nicht einmal unter die 10 Bestausgelasteten Mittelgebirge Europas! Der Harz, der Thüringer Wald und das Erzgebirge dagegen schon.
Insofern mag es eventuell stimmen, dass der Spessart nicht im Sterben liegt, auch wenn meine Erfahrungen aus Rothenbuch und bei Fam. Philipp in Heimbuchenthal andere Vermutungen zulassen. Aber im Vergleich mit anderen Mittelgebirgen hat er noch ziemlich viel Nachholebedarf.
Wenn Du Lust hast, lass uns gern darüber diskutieren. Nicht immer ist meine Erfahrung ausschlaggebend oder meine Sichtweise unverrückbar richtig. Insofern freue ich mich von Dir zu hören und grüße ganz herzlich aus dem sommerlichen Berlin.
Sven
[…] Der vorletzte Blog-Tourist folgte bereits Sven Becker durch den Spessart. Und diese märchenhafte und gleichzeitig sterbende Touristenregion will auch unseren heutigen Blog-Touristen nicht loslassen. Also wandern wir weiter mit, von Heimbuchental nach Eschau. Den Beitrag mit grandiosen Bildern von Waldkapelle bis Burgruine findet ihr hier. […]