Manchmal gibt es diese kleinen, aber feinen Wanderungen, die man eigentlich nur unternimmt, um noch einmal das schöne Herbstwetter auszunutzen. Schon während man die ersten Schritte setzt, mit dem steilen Aufstieg und dem inneren Schweinehund kämpft, wird einem klar, dass dies eben keine einfache und kurze Wanderung sein wird. Doch am Ende steht man an einem der friedvollsten und stillsten Orte, die man seit Langem erlebt hat, und fühlt sich im Einklang mit sich selbst und dem Dahinscheiden des Sommers. Die Wanderung zum Berglisee im Paznauntal ist eine davon.

Steiler Aufstieg vom Wildpark Ischgl zum Berglisee
Leise plätschern die wenigen Wasser der Trissana in sanft geschwungenen Kurven am Wildpark Ischgl vorbei. Ein trockener Sommer hat den Fluss zu einem schmalen Bach schrumpfen lassen, der nun gemächlich durch das Tal fließt. Darüber spannt sich eine für diese Jahreszeit überdimensionierte Brücke, die vermutlich zur Schneeschmelze ihre wahre Bestimmung finden wird. Ich folge den Wegweisern, die mich über die Brücke und in Richtung des steilen Aufstiegs zum Berglisee führen. Denn direkt dahinter beginnt der Anstieg.
Der schmale Trampelpfad, der sich durch lichtes Unterholz windet, gibt einen ersten Vorgeschmack darauf, was mich auf den nächsten drei Kilometern erwartet. Steil schlängelt er sich in Serpentinen den Hang hinauf. Da ich, wie eingangs erwähnt, das anhaltend gute Wetter ausnutzen möchte, folge ich den Windungen des Pfades. Mit jedem Schritt, den ich mache, steigt nicht nur mein Körper Meter für Meter in die Höhe, sondern auch mein Puls.
Das Schöne an solchen Touren ist, dass meine sonst rasenden Gedanken im Kopf schnell zur Ruhe kommen. Doch das Unangenehme daran ist, dass mich stattdessen die Sorgen um mein Herz und eine mögliche Überlastung beschäftigen. Schlechte Gedanken lassen sich nicht durch andere schlechte Gedanken vertreiben, und so zügele ich mein Tempo, bis der Pulsmesser signalisiert, dass ich im sicheren Bereich bin. Unter einem Puls von 140 komme ich jedoch vorerst nicht mehr.

Steil meint steil
Zumindest bis zu dem Moment, als ich eine erste Pause einlege und feststelle: Von den drei Kilometern des gesamten Aufstiegs habe ich immerhin schon einen bewältigt. Und obendrein auch noch die ersten 200 der insgesamt 600 Höhenmeter überwunden. In diesem Tempo werde ich zwar irgendwann den Berglisee erreichen, aber sicher nicht in der von mir anvisierten Zeit.
Wer genauso ungeduldig ist wie ich, kann auf dieser Wanderung ganz bestimmt lernen, sich in Geduld zu üben. Vor allem aber im achtsamen Umgang mit dem eigenen Körper. Denn beides ist notwendig. Zumindest dann, wenn man nicht im Alpenraum groß geworden ist oder auf halber Strecke umkehren möchte.
Zum Glück quälen sich andere Wandernde in genau dem gleichen Schneckentempo wie ich. Oder sie wählen lieber gleich den leichteren Aufstieg. Dieser windet sich nämlich parallel dazu, aber in etwas gemächlicheren Serpentinen ebenfalls bis auf die 2.000 Höhenmeter hinauf. Allerdings ist dieser Weg nochmal drei Kilometer länger und würde den Aufstieg zum Berglisee auf insgesamt 6,5 Kilometer verlängern. Und darauf hatte ich gar keine Lust. Wennschon, dennschon.



Klein aber oho! – Am Berglisee
Irgendwann ist es dann endlich geschafft. Stilecht, wie es sich für die majestätischen Tiroler Berge gehört, signalisiert ein Kreuz am Baum kurz vor dem Inneren Bergli das Ende der Tortur. Ab hier öffnet sich der dichte Wald zu einer weitläufigen Almwiese, die nach all der Anstrengung wie ein verborgenes Paradies erscheint. Nur kurz verschnaufe ich vor einer der beiden urigen Hütten und lasse meinen Blick über das atemberaubende Panorama der gegenüberliegenden Berghänge des Paznauntals schweifen. Was für einen erhabenen Anblick die Berge doch immer wieder bieten. Besonders jetzt, im frühen Herbst, wenn die tief stehende Sonne alles in ein wohlig-warmes, den Betrachter umarmendes Licht taucht. Nachdem mein Puls sich beruhigt hat, setze ich meinen Weg fort und erwandere die letzten Höhenmeter.
Plötzlich sehe ich den Berglisee vor mir. Die Sonnenstrahlen tanzen auf seiner Oberfläche, und ich muss meine Augen zusammenkneifen, um überhaupt noch etwas erkennen zu können. Umsäumt von Steinen und Sträuchern, ist dies ein Ort der Ruhe und Besinnung. So friedvoll liegt der See vor mir, dass ich kaum zu atmen wage, so überwältigt bin ich von seiner Schönheit. Die spiegelglatte Oberfläche reflektiert die Umgebung immer wieder neu und auf faszinierende Weise, zumindest dort, wo keine dünne Eisschicht dieses Phänomen stört. Auch das ist ein Zeichen der Zeit: Der Winter steht vor der Tür. Oberhalb von 2.000 Höhenmetern streckt er nachts bereits seine ersten frostigen Fühler aus.
Am Südwestufer, hinter einer sanften Anhöhe, wartet ein gemütlicher Rastplatz auf müde Wanderer. Genau die richtige Stelle für eine ausgiebige Pause und der perfekte Ort für eine friedvolle Rast. Vereinzelt jagen sich noch Vögel durch die Büsche, doch die Ruhe am See scheint ein weiterer Vorbote der kommenden Jahreszeit zu sein. Bedächtig still ist es zuweilen, und höre ich nur das sanfte Rauschen des Windes, der die umliegenden Berghänge herabbläst.




Zurück zum Wildpark Ischgl
Der Abstieg ist rasch erzählt und richtet sich vor allem an Ungeduldige wie mich. In westlicher Richtung schlängelt sich ein schmaler, jedoch leicht begehbarer Pfad hinab zur Larein Alpe. Da diese jedoch bereits geschlossen ist, lasse ich sie links liegen und folge dem plätschernden Lareinbach weiter ins Tal.
Irgendwann verlasse ich den Bach und orientiere mich an den Wegweisern, die mich zur Waldkapelle führen. Das kleine Gebäude steht offen, und ich trete in den winzigen Altarraum ein. Angeblich soll die Kapelle sowohl im Sommer als auch im Winter offenstehen und somit zu jeder Jahreszeit ein Ort des Willkommens sein. Auch ich nehme die Einladung an und gönne mir kurz vor Ende der Wanderung noch einmal eine besinnliche Pause. Was soll ich sagen: Danke, lieber Körper. Das war eine herausragende Leistung von dir, besonders da ich ursprünglich nur das gute Wetter ausnutzen wollte und gar nicht mit dieser Erfahrung gerechnet hatte. Ein Hoch auf diesen späten Sommer und diese wunderbare Wanderung.




Tipps & Informationen
ANREISE & ABREISE
↠ Mit den Buslinien 12 und 260 des VVT bis zur Haltestelle Ischgl Wildpark Silvretta.
↠ Das Auto kann man am besten auf dem Parkplatz am Wildpark stehen lassen.
AUSRÜSTUNG
Für diese Wanderung benötigt es auf jeden Fall festes Schuhwerk. Der steile Aufstieg ist durchaus als alpin zu bezeichnen. Ansonsten wäre nur noch dem Wetter angepasste Kleidung zu erwähnen.
WEGEQUALITÄT
Vornehmlich schmale, alpine Waldpfade. Oberbahlb der Baumgrenze steinige Wege. Gegen Ende auch Schotter-, Wald- und Forstwege.
ESSEN & TRINKEN
Einzig und allein die Larein Alpe bietet beides. So sie denn geöffnet ist. Ansonsten empfehle ich ja immer gern – egal ob im Sommer oder im Winter – ein Picknick unterwegs. Der Berglisee bietet sich da wirklich bestens an. Tolle Kulisse!
!— BESONDERER TIPP —!
Am Ende der Wanderung lohnt sich auch noch ein Besuch des Wildparks Ischgl. Der ist zwar klein, aber sehr nett. Und liegt in einer traumhaften Kulisse.
Wanderkarte
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Weitere Informationen