Wanderung zur Burg Kynast
Auch am neuen Morgen regnet es. Die Plusgrade – heute dürften es um die fünf sein – lassen den Schnee deutlich schneller schmelzen. Zwar ist der Frühling noch nicht wirklich durchgedrungen, doch der Winter vergeht unaufhaltbar. Nichtsdestotrotz möchte ich meinen letzten Tag nutzen und zur Abwechslung mal etwas Kultur tanken. In den Ausläufern des Riesengebirges finde ich in der Nähe der Großstadt Jelenia Góra genau das richtige für meinen Geschmack. Per Zufall streife ich durch das Hirschberger Tal und entdecke Einzigartiges.
Das Auto lasse ich auf einem gebührenpflichtigen Parkplatz in Sobieszów stehen. Auf der höchsten Erhebung des Gipfels hoch über dem Tal thront majestätisch das Gemäuer. Doch zuvor wollen die knapp dreihundert Höhenmeter erklommen werden, die steil und schweißtreibend dafür aber sehr gut ausgeschildert hinauf zur Burg führen.
Besichtigung der Zamek Chojnik, der Burg Kynast
Nur widerwillig quält sich der junge Mann aus seiner warmen Stube und hinter seinem Schreibtisch hervor. Darauf steht ein geöffneter Laptop auf dessen Bildschirm ein Fußballspiel übertragen wird. Zu mir unter das Vordach kommend, von dessen Kanten Regenwasser heruntertropft, klappt er eine Metallkassette auf, schaut mich an und fragt „Normalny?“.
„Ja, normal“ antworte ich. „Eintritt für die Burg, bitte.“
„Ahh, Deutscher. Woher in Deutschland?“
„Berlin.“
„Berlin gut.“ lächelt er mich wohlwissend an. „Berlin sehr gut.“
„Manchmal schon“ sage ich. „Meistens jedenfalls.“
Ich nicke in Richtung Fußballspiel und frage ihn, wer heute spielt. Mit geschlossener Faust klopft er sich auf den Brustkorb und sagt voller Stolz: „Szczecin. Meine Mannschaft.“
„Und wie stehts?“
Sichtbar enttäuscht schüttelt er den Kopf. „Verlieren. Schon wieder.“
Heute sei nicht sein Tag, meint er noch, als er sich wieder in die warme Stube und zu seinem Fußballspiel zurückzieht. Scheiß-Wetter, Scheiß-Job, Scheiß-Spiel – so ist das manchmal im Leben.
Mein Bedauern ausdrückend nehme ich die Eintrittskarte und begebe mich im anhaltenden Dauerregen zum Tor der Burg. Ein Wetter, um sich zu verkriechen. Außer mir sind es nur drei, vielleicht vier Mitwanderer, die den steilen Weg hinauf gefunden haben. Da jene sich aber erst einmal dem Gasthaus im Nebengebäude zuwenden, bin ich vorerst allein. Allein mit knapp tausendjähriger Geschichte.
Abschied vom Riesengebirge
Ganze zwei Stunden halte ich mich in der Burgruine Kynast auf, streife trotz andauerndem Regen durch die Gemäuer, bevor ich mich auf den Rückweg nach Berlin mache. Drei abenteuerliche Tage im Krkonoše, im Riesengebirge gehen damit zu Ende. Ein Kurzausflug ins Nachbarland, den ich hiermit wärmstens empfehlen und jedem ans Herz legen möchte. Nicht nur im Winter, auch – oder gerade – im Sommer. Denn eines steht fest: ich komme wieder. Keine Frage.