Es muss nicht immer Weiß sein
Noch nie habe ich den Schnee des Winters so sehr herbeigesehnt wie in diesem Jahr. Noch nie war ich so perfekt ausgestattet und vorbereitet. Und noch nie ließ er so lange auf sich warten. Von November bis jetzt fiel in Berlin keine einzige Flocke. Und wenn, dann nur über Nacht, wobei am nächsten Morgen schon längst wieder alles getaut war. Doch meine Lust auf eine richtige Winterwanderung ist groß und da nehme ich den fehlenden Schnee eben einfach in Kauf. Der Winter kann sich auch ohne sein strahlendes Kleid in allen möglichen Farben zeigen.
Einmal mehr suche ich Ruhe und Entspannung bei einer Wanderung in meinem Lieblingsgebirge, der Sächsischen Schweiz. Auch wenn mir das Polenztal aus dem letzten Jahr noch in guter (und vor allem winterlicher) Erinnerung geblieben ist, erkunde ich heute eine für mich gänzlich neue Gegend. Vom Tal der Polenz aus gelangt man nämlich nicht nur zur Burg Hohnstein sondern in entgegengesetzter Richtung auf den Gipfel des Brand, des wohl schönsten Aussichtspunkts des Elbsandsteingebirges. Doch vorher heißt es bergab und ein Stück die Polenz entlang, auf deren bepuderten Wiesen bereits die Frühblüher ihre Fühler ausstrecken. Schaut man hier nicht genau hin, kann man sie schon mal übersehen.
Hoch auf den Brand
Im Schatten der Waltersdorfer Mühle hängen große Eiszapfen wie gläsern am Fels. Bei tiefen Temperaturen formt hier steter Tropfen kunstvolle Skelette, die mancherorts bis zu 20 Meter hoch werden können. Doch der Weg führt mich an ihnen und der Mühle vorbei. Über die Brücke der Polenz gelange ich wenig später zum Schulzengrund und beginne damit den Aufstieg zum Brand. Knappe 2 Kilometer windet sich der Pfad zwischen Felsen und Bäumen hinauf. Gut 200 Höhenmeter gilt es zu überwinden und so komme ich auch bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ganz gut ins Schwitzen.
Auch Grün und Braun können Farben des Winters sein
Nur vereinzelt zeigt sich der Winter in seinem üblichen Kleid – von richtigem Schnee keine Spur. Dafür gilt es immer wieder über umgestürzte Bäume zu klettern, die nur notdürftig geräumt wurden. Mitten in der Schutzzone des Nationalparks Sächsische Schweiz wird schon lange nicht mehr in den natürlichen Lauf eingegriffen. Und so bleiben die Zeichen des letzten Sturmtiefs eben liegen und tragen zum Gesunden des Waldes bei. Ein Novum, dass man hier überhaupt wandern darf.
Dann endlich ist es geschafft. An der Brand-Baude und damit auf dem Balkon der Sächsischen Schweiz angekommen, lasse ich die Aussicht erst einmal links liegen und genehmige mir ein deftige Mahlzeit im Gastraum der Bergwirtschaft. Auch wenn Hochalpinisten sich bei solchen Steigungen eher warmlaufen und nur müde lächeln dürften, soviel Belohnung muss sein. Doch danach lasse auch ich mich vom Ausblick verzaubern, der sich heute dank tiefhängendem Nebel jedoch gar nicht so berauschend zeigt.
Entlang des Kammwegs
Am nördlichen Kammweg des Brand gibt es noch einen zweiten Aussichtspunkt der zwar weniger spektakulär, aber aufgrund seiner exponierten Lage auf mich viel beeindruckender wirkt. Von ihm bietet sich nämlich ein schönes Panorama mit Blick in den Tiefen Grund, dessen gleichnamiger Bach knapp 180 Meter tiefer, leise vor sich hinrauscht. Doch bevor ich an seinen Ufern zurück zur Polenz wandere heißt es nochmals jede Menge Treppen steigen. Denn der Abstieg vom Gipfel des Brand in den Tiefen Grund ist vor allem eines: steil.
Am Himmel: Jede Menge Grau
Im Tal des Tiefen Grund angekommen folge ich dem Weg entlang des Grundbaches bis zu seinerr Mündung in die Polenz bei Porschdorf. Die einstige Frintztalmühle existiert nur noch dem Namen nach. Heute ist sie ziemlich unspektakulär einfach nur ein Wohnhaus. Nicht jede Tradition muss unbedingt gepflegt werden. Manchmal darf auch Neues aus Altem entstehen.
Zurück an der Polenz führt der Wanderweg recht geschmeidig und kaum spürbar bergauf zur Waltersdorfer Mühle. Auch hier sind die Sturmschäden deutlich zu sehen, Teile des Weges sind gar gesperrt. Zum Glück verläuft auf beiden Ufern des Flusses ein Wanderweg. Andernfalls hätte ich umkehren und den ganzen Weg zurück gehen müssen. Wäre jetzt nicht sonderlich tragisch. Aber so rechte Lust, den steilen Aufstieg erneut in Angriff zu nehmen, habe ich auch nicht. So beuge ich mich der Sperrung und wechsle das Ufer.
Alles auf Anfang
Da der Himmel gänzlich aus grauen dichten Wolken besteht und die Temperaturen auch keine wirklichen Sommergefühle aufkommen lassen, genehmige ich mir kurz vor Ende der Wanderung noch einen wärmenden Tee am Imbiss der Waltersdorfer Mühle. Das Gebäude an sich ist zwar geschlossen, neben einer Biertischgarnitur lodert jedoch einladend ein Feuer. Während ich meine Bestellung beim Wirt aufgebe, komme ich mit dem Eigentümer, der sich gemütlich auf seinen Verkaufstresen stützt, ins Gespräch. Ob es denn möglich sei, hier auch zu übernachten, möchte ich wissen. Das Haus sei schließlich groß.
„Warum?“ fragt er zurück.
„Als Ausgangspunkt für Wanderungen ist dieser Platz doch ideal.“
„Ja, ja“ sagt er lachend. „Das beste Haus am ganzen Platz!“
Und nein, Übernachtungen könne er leider keine anbieten. Das Haus sei bereits ausgebucht – mindestens die nächsten zehn Jahre. Ein kurzes Augenzwinkern noch und schon ist er in die tiefen Räumlichkeiten seines viel zu großen, fast leerstehenden Hauses verschwunden. Einsamkeit kann zuweilen kauzig machen.
Die letzten Meter hinauf zum Parkplatz werden nochmals steil, doch dann ist es geschafft. Die gesamte Strecke mit Abzweigungen und Nebenwegen gestaltet sich abwechslungsreich auf den insgesamt zehn Kilometern. Etwas mehr als ein Spaziergang zwar, aber dennoch eine richtige Wanderung. Das Einzige, was als Beigeschmack bleiben wird: Der Winter präsentiert sich dieses Jahr in allen möglichen Farben. Aber nur selten auch in weiß.
[…] Strahlender Sonnenschein, eisige Winde und jede Menge Schnee. Womit wir bei der eigentlichen Farbe des Winters […]
Zu jeder Jahreszeit einen Ausflug wert! 🙂
Hallo Melli, willkommen im Blog. Und: unbedingt! Die Sächsische Schweiz ist immer wieder traumhaft. Viele Grüße, Sven