Der nächste Morgen überrascht mich mit Veränderungen. Über Nacht sind die Temperaturen von gestern Abend 25 auf heute nur noch 8 Grad gesunken. Dicke, schwere Wolken hängen am Himmel aus denen es hin und wieder regnet. Die Eisheiligen haben Einzug gehalten und mit aller Erbarmungslosigkeit meine kurze Hose in die unterste Ecke des Rucksacks verbannt. Das war zwar abzusehen (ein Hoch auf die präzise Wettervorhersage) fühlt sich aber dennoch echt unschön an. Es ist kalt und mich friert’s. Höchste Zeit also, den Wanderstiefel zu schnüren und die heutigen Kilometer in Richtung Hermannsdenkmal mit etwas mehr Tempo anzugehen.
Von Oerlinghausen zum Hermannsdenkmal (19km)
Wenige Kilometer nach Oerlinghausen verlasse ich für einen kurzen Moment den Hermannsweg, um mir die abseitig gelegene Hünenkapelle anzuschauen. Von einer schützenden Ringwallanlage umgeben windet sich der schmale Wanderweg den Hügel hinauf und bringt mich trotz des kühlen Wetters ziemlich ins Schwitzen. Belohnt werde ich dafür mit einer idyllischen Ruine, die ein Maler der Romantik nicht besser hätte zeichnen können. Doch die Rast ist nur kurz, schließlich ist es bis zum Hermannsdenkmal noch ein ganzes Stück.
Zurück auf dem Hermannsweg stoße ich in seinem weiteren Verlauf immer wieder auf ein kleines Phänomen: obwohl der Teutoburger Wald ein typischer Mischwald ist, stehen an ziemlich vielen Wegkreuzungen auch einzelne Kastanien. Da diese eigentlich eher in Parkanlagen als Zier- oder Straßenbäume gepflanzt werden, spielen sie normalerweise in der Forstwirtschaft überhaupt keine Rolle. Auch der hier heimische Mountainbiker, der mir entgegenkommt und den ich daraufhin anspreche, kann mir keine befriedigende Auskunft geben. So bleibt mir dieses Rätsel für den Weg und freue ich mich an jeder folgenden Gabelung über die Blütenpracht.
Von kalten Sommertagen
Trotzdem die Wolken am Nachmittag etwas aufreißen und der blaue Himmel die Sonne durchlässt, steigt die Temperatur nur unwesentlich. Neun Grad Tageshöchstwert ist für meinen Geschmack eindeutig zu wenig, bin ich doch eher den griechischen Sommer gewohnt oder zumindest den europäischen Herbst. Aber das hier lässt mich stark an mein Abenteuer in den Julischen Alpen denken und mir fröstelt es gleich nochmal obendrauf. Dem vorzubeugen nutze ich die kurze Sonnenphase und mache am beschaulichen Donoperteich eine Paus.
Ein kurzes Schläfchen später werde ich von neuerlichem Regen geweckt und mache mich auf den weiteren Weg in Richtung Tagesziel. Auf knapp 380 Höhenmeter gelegen thront die beeindruckende Statue in Erinnerung an den Sieg des Arminius (zu deutsch: Hermann) gegen die römischen Legionen des Varus (keine deutsche Übersetzung). Ersterer hat nämlich das Unmögliche erreicht. Er eint die bis dato verfeindeten germanischen Völker im Angesicht der römischen Übermacht und führt sie erfolgreich gegen Letzteren zum Sieg. Damit legt er – zumindest rückblickend und wahrscheinlich unbewusst – den Grundstein zur germanisch-deutschen Staatenbildung, aus der unter anderem auch das heutige Deutschland hervorgeht. Von der Planung bis zur Vollendung des Denkmals im Jahre 1875 war es ein mindestens genauso mühsamer Kampf. Viele Jahre zogen ins Land, die im angrenzenden Museum versucht werden, aufzuarbeiten.
Detmold am Hermannsweg
Da mir heute die Kilometer merklich in den Füßen brennen, nutze ich den Shuttle-Service der Stadt Detmold, um mit ihm ins Zentrum zu gelangen. Dort wartet eine heiße Dusche und eine kleine Überraschung auf mich. Denn Detmold feiert ausgerechnet an diesem Wochenende das Europäische Straßentheaterfestival „Bildstörung“. Überall in der Stadtmitte sind Künstler unterwegs, Buden und Bühnen aufgebaut und die Menschen vergnügen sich bei Wein und Gesang. Da meine Pension direkt inmitten des Trubels liegt, wird das wohl eine sehr kurze Nacht werden. Mich der neuerlichen Herausforderung stellend bleibt mir also nichts anderes übrig, als mich ebenfalls (und das bis weit nach Mitternacht) in das Getümmel der Unterhaltung zu stürzen. Morgen ist ja schließlich erst morgen.