Nach den anstrengenden Kilometern gestern, gedenken wir es heute etwas ruhiger angehen zu lassen und suchen nach einem neuen Ziel. Unweit des Zeltplatzes hinter dem kleinen Dörfchen Hammersbach werden wir fündig. Denn dort befindet sich der direkte Zugang zum Höllental. Klingt nach einer furchteinflößenden Angelegenheit. Also genau das Richtige für uns.
Auf dem Weg ins Höllental
Der Weg führt geradewegs durch verschlafene Weiler, über Trampelpfade und Wiesen zur Kapelle von Hammersbach, an der auch der eigentliche Wanderweg durchs Höllental seinen Anfang nimmt. Ruhig und wie jedem Gotteshaus eigen, nimmt uns die angenehme Kühle dieses Kirchleins in Empfang. Für einen kurzen Moment ziehe ich mich gedanklich aus der Welt zurück. Nicht, weil ab jetzt ein Kampf auf Leben und Tod beginnen würde, sondern vielmehr weil die Wortverbindung von Tal und Hölle doch irgendwie respekteinflößend auf mich wirkt. Gerade in einer Kirche. Mein Bruder ist da ganz anders gestrickt. Aber der war ja auch nicht auf dem Jakobsweg unterwegs. Ts, ts, ts. Diese Atheisten.
Führt uns der Pfad die ersten Meter noch gemächlich entlang des gleichnamigen Baches, steigt der Weg kurze Zeit später erneut steil bergan. Die Frage, ob wir es heute nicht etwas gelassener angehen wollten, wird mit einem Schmunzeln seinerseits quittiert und ich beginne zu ahnen, dass es für mich nun kein Zurück mehr gibt. Mein Bruder hat sich ein Ziel gesetzt und auf eine ungenaue Art bin ich ihm gleichermaßen dankbar dafür. So kommt mir eine Revolte gar nicht erst in den Sinn und ich marschiere ihm tapfer hinterher. Ja, auch das hat man davon, einen großen Bruder zu haben. Er zieht, wo man selbst lieber loslassen würde.
Am Eingang zum Höllental
An der Eingangshütte zur Höllentalklamm, die bewirtschaftet und rappelvoll ist, stoppt uns ein Wegekreuz und eine freundliche Dame hinter dem Schalter bittet uns um 3,- € je Person oder 2,- € sofern wir die Kurkarte dabei hätten. Haben wir aber nicht. Die liegt nämlich im Zelt. Naja, alles zum Erhalt der Klamm. Da der Eintritt nur einmal zu zahlen ist, egal wie oft man an einem Tag die Klamm hinauf und wieder hinunter möchte, sortiere ich die Quittung sorgfältig ins Portemonnaie, um nach dem erhöhten Ein- nicht auch noch einen erhöhten Austritt zahlen zu müssen.
In der Höllentalklamm
Nachdem wir uns in Regenkleidung gepackt haben, stürzen wir uns ins Getümmel. Besonders bei abenteuerlustigen Kindern ist dieser Weg sehr beliebt und so kommen uns viele von ihnen halb rennend oder stürzend entgegen. Die eine oder andere Träne wird hier sicher schon geweint worden sein, spätestens nachdem auch mir ein Kind vor die Füße rutscht und ich mir ausweichend den Kopf an einem Durchgang stoße. Denn diese Klamm ist nass und dank meines Regencapes die Sicht sehr eingeschränkt. Von allen Seiten strömt das Wasser mal mehr, mal weniger in die Tiefe und sorgt für eine angenehme Dauerfeuchte. Das Tosen und Rauschen des Baches, immer wieder von wütenden Wasserfällen unterbrochen, der Weg zum Teil ausgesetzt direkt daneben, das ist nun wirklich mal ein Erlebnis.
Gedränge an der Hütte
Am Ende der Klamm werden wir von einer Masse an Menschen überrascht. Eltern mit Kindern, Schulklassen, Pfadfindergruppen, Großeltern mit Enkeln. Alle wollen oder sind durch die Klamm gekommen und rasten. Genau wie wir. Da dieser Pulk mir allerdings zu laut ist, überrede ich meinen Bruder die Pause zu verkürzen und uns irgendwo ein ruhigeres Plätzchen zu suchen. Unweit des ehemaligen Wasserkraftwerks, welches Anfang des letzten Jahrhunderts erbaut und durch den Hammersbach gespeist und betrieben wurde, befindet sich auf 1400 Höhenmetern die Angerhütte. Doch auch hier sind mehr Menschen als meine Geduld verträgt. Selbst meinem Bruder ist es diesmal zu laut und wir wandern weiter in Richtung Höllental-Kar. Nicht dass man mich missversteht: es ist toll hier, atemberaubend, wunderschön. Es sind nur einfach zu viele Menschen inmitten der Natur.
Bis ans Ende des Höllentals
Gemächlich steigt der Weg an und kurz vor dem sogenannten Brett, dem Einstieg in den Klettersteig hinauf auf den Gipfel der Zugspitze, biegen wir links ab und finden endlich Ruhe und Erholung zu Füßen eines Wasserfalls. Gut 100 Meter stürzt das eiskalte Wasser vom Gletscher in die Tiefe. Da es die letzten Tage auf über 2000 Höhenmetern fast nur geregnet beziehungsweise geschneit hat, ist da einiges an Nass zusammengekommen und erklärt nun auch, warum es die Klamm ebenfalls ist.
Völlig allein und nur von weidenden Schafen umgeben genießen wir die Ruhe und die Einsamkeit, bevor wir nach über einer Stunde in dem fast ausgetrockneten Flussbett unseren Rückweg antreten. Ein Blick zurück lässt mich wehmütig erahnen, wie sich wohl ein Sommer in Kanada anfühlen muss und augenblicklich bin ich meinem Bruder dankbar, dass er so hartnäckig geblieben ist. Denn diese Eindrücke erfährt man nicht alle Tage.
[…] Vorbei an den wenigen Häusern Mulino’s, in welchen eines der alten und noch immer intakten Gemeinde-Backöfen untergebracht ist, führt mich der Weg letztlich direkt an den Lago Pellaud. Bereits von Weitem schimmert das smaragdgrüne Wasser durch die steil aufragenden Nadelbäume. Mich erstaunt, dass auf dieser Höhe – ich befinde mich auf knapp 1.870 Höhenmetern – noch so dichte Wälder vorzufinden sind. Das kenne ich aus den nördlichen Alpen irgendwie anders. […]