In meiner Erinnerung war es vor allem meine Mutter, die mich als Kind raus in die Natur zog. Später dann mein Bruder. Heute ist es genau umgekehrt. Jedes Mal, wenn ich in die Sächsische Schweiz zum Wandern fahre, nehme ich meine Mutter dann doch nochmal auf die ein oder andere Tour mit. Hätte ich jedoch geahnt wie schwer der Aufstieg zum Hinteren Raubschloss auf dem Winterstein tatsächlich ist, über welch freistehende Eisenleitern und in den Sandstein geschlagene, vor allem aber gefährliche Tritte er führt – ich hätte uns vermutlich eine andere Wanderung rausgesucht.
Doch meine Mutter wollte unbedingt. Auch als sie sah, dass der Abhang zwanzig Meter in die Tiefe ging, sagte sie nicht „Nein“, sondern „Los jetzt. Weiter.“ So, wie ich es von ihr gewohnt bin. Oben auf dem Gipfel, als wir endlich freie Sicht auf das Umland hatten, sie sich erschöpft aber glücklich lächelnd auf einem der Steine niederließ, wurde mir schlagartig klar, von wem ich meine Wanderlust habe. Wer mich all die Jahre damit angesteckt hat.
Danke Mama. Ganz, ganz großes Kino.
Und jetzt zur Wanderung auf den Winterstein
Zum Startpunkt der Wanderung, dem Beuthenfall, gelangt man auf unterschiedliche Weise. Mit dem Auto, dem Bus, oder – was mir schon seit Kindheitstagen am liebsten ist – mit der Kirnitzschtalbahn. Das ist eine betagte Straßenbahn, die noch original erhalten ist und damals wie heute lautstark um die eigentlich viel zu engen Kurven quietscht. So verlassen wir mit jeder weiteren Biegung, die das rustikale Gefährt geräuschvoll durchs Tal tuckert, die letzten Reste städtischer Zivilisation und tauchen immer weiter in die Sandsteinfelsen der Sächsischen Schweiz ein.
An der Haltestelle angekommen, deren namensgebender Wasserfall zwar noch vorhanden, aber eigentlich keine richtige Sehenswürdigkeit mehr ist, beginnen wir unsere Wanderung. Die führt uns anfangs durch den Dietrichsgrund auf die Zeughausstraße und damit am Alten Wildenstein vorbei. Den kann man zwar durch das dichte Unterholz nicht wirklich sehen, dafür aber hören. Gerade am Wochenende und vor allem im Sommer hört man die Kletterer und Boofer, die rund um den beliebten Felsen übernachten, nämlich recht deutlich. Da das an den beliebten Spots in den letzten Jahren etwas überhand genommen hat, und parallel dazu die Anzahl der Waldbrände gestiegen ist, wird dem wohl zukünftig Einhalt geboten werden. Schade.
Klettern auf den Winterstein
An den Quenenwiesen vorbei (keine Ahnung, warum die so heißen. Weiß das jemand?) folgen wir erst weiterhin der Zeughausstraße, bevor ein kleines Hinweisschild einen schmalen Weg zum Winterstein anpreist. Dem folgen wir und laufen zwar gemütlich durch die Buchschlüchte, dafür aber auch stetig bergan.
Neuer Hinweis, neuer Weg – und schon beginnt der anfangs moderate, später steile Anstieg auf den Winterstein. An dieser Stelle sei ausdrücklich gewarnt: wer Höhenangst oder keinen sicheren Tritt hat, sollte diesen Berg lieber meiden und eher ein ausgiebiges Picknick zu Füßen der Felsen abhalten. Denn hat man erst einmal die leichten Eisenstufen erklommen, wartet inmitten der anschließenden Höhle eine knapp 10 Meter hohe Eisenleiter, die sehr, sehr frei steht und weder über ein Geländer noch eine Sicherungsmöglichkeit verfügt.
Meine Mutter hat an diesem Tag wohl richtig große Lust auf ein Abenteuer, also klettern wir die Leiter nach oben. Anschließend erwarten uns noch Sandsteinstufen, die auch so ein bißchen rutschig sind, Eisenkrampen, an denen man sich wahlweise festhalten oder darauf hochklettern kann, ein schmaler Spalt, in den besser kein Kind reinrutschen sollte, da es wohl ziemlich schwer werden würde, es da wieder herauszubekommen, noch mehr schmale Eisenleitern innerhalb eines Felskamins, am Ende nochmal ein paar Stufen und – voilá – schon stehen wir auf dem Gipfelplateau.
Die Aussicht auf dem Winterstein ist einfach fantastisch. 360-Grad-Panoramablick par excellence. In allen Himmelsrichtungen haben es sich Pärchen oder kleinere Gruppen auf dem Felsen gemütlich gemacht und genießen das laue Lüftchen, das aus dem Tal herauf weht. Obwohl der Himmel bedeckt ist, ist es sommerlich warm. Und angenehm. Wir machen es den anderen gleich und suchen uns ebenfalls einen Platz zum Rasten.
Noch so ein bißchen Geschichte zum Winterstein
Der beste Platz dafür befindet sich auf den Fundamenten des ehemaligen Wohnturms. Die bestätigen, was unterwegs beim Aufstieg schon zu ahnen war: der Winterstein war früher mal eine befestigte Felsenburg. Ob diese nun als Wachburg einer nahegelegenen Handelsstraße oder als Rückzugsort für den befürchteten Mongolensturm diente, kann heute nicht mehr eindeutig belegt werden. Was jedoch belegt werden kann, ist die Besiedlung des Felsens schon weit vor dem 13. Jahrhundert.
Stets im Besitz irgendeines Adelsgeschlechts gilt die Felsenburg auf dem Winterstein als früheste Erwähnung einer Befestigung in der Sächsischen Schweiz. Jedoch nach 1440 war dann auch schon wieder Schluss. Nach mehreren Besitzerwechseln wurde die Burg auf dem Winterstein vermutlich um 1442 abgerissen und verfiel. Somit lässt sich bisher geschichtlich behaupten: ja, eine Felsenburg auf dem Winterstein gab es, ein Raubschloss jedoch war sie nicht. Diese Bezeichnung wird – mit heutigem Verständnis – auf den Beginn der touristischen Erschließung im späten 18. Jahrhundert zurückgeführt. Damals wie heute gilt: je reißerischer die Bezeichnung, desto besser die Vermarktung.
Rückweg über den Neuen Wildenstein (Kuhstall)
Wieder vom Felsen runtergeklettert – ja, denselben Weg muss man auch wieder zurück – folgen wir diesmal dem Trampelpfad rund um die Bärenfangwände, besser bekannt als Königsweg. Der schlängelt sich unterhalb wunderbarer Kletterfelsen mit so illustren Namen wie Pechofenhorn, Bärenhorn oder Gleitmannshorn und landen wir schließlich unterhalb des Kleinen Winterbergs. Von dem führt nun noch der Fremdenweg immer geradeaus bis direkt hinauf auf den Neuen Wildenstein.
Auch der ist, wie der eingangs erwähnte kleine Bruder, gut besucht, kann aber mit einem herzlich geführten Gasthaus aufwarten. Und einer kleinen Sensation. Um zur Aussicht zu gelangen, müssen wir erst durch ein riesiges Loch im Felsen wandern, in welchem zu mittelalterlichen Krisenzeiten oftmals Tiere der umliegenden Bauernhöfe untergestellt wurden. Daher auch sein Name: „Kuhstall“. Doch die eigentliche Aussicht befindet auf dem Felsen selbst. Durch einen versteckten Wegweiser werden wir die Himmelsleiter (O-Ton Mama: „Oh Gott. Schon wieder Stufen!“) hinaufgeschickt. Oben angekommen genießen wir einen wunderbaren Blick zurück. Nicht nur auf das Hinterland der Sächsischen Schweiz, sondern auch auf den Winterstein. In gut 3 Kilometer Entfernung (Luftlinie) können wir den Felsen, auf dem wir picknickten und der so beschwerlich zu erklimmen war, recht gut erkennen.
Vom Kuhstall, auf dem es noch weitaus mehr zu entdecken gibt als das hier beschriebene, ist es noch ein Katzensprung zum Lichtenhainer Wasserfall. Der ist in der Tat noch ein richtiger und dazu ein richtig schöner. Von hier haben wir erneut die Entscheidungsmöglichkeit wie wir zurückfahren wollen. Meine Mutter scheint mich gut genug zu kennen, um zu wissen, dass es eigentlich nur eine stilechte Art des Reisens im Kirnitzschtal gibt. Und die schlägt sie auch vor: die industrielle Museumsbahn, mit der wir auch schon in das Tal hinein quietschten. Ein krönender Abschluss für eine wunderbare Wanderung.
Tipps & Infos
HINKOMMEN.
– S-Bahn S1 bis Bahnhof Bad Schandau, von dort mit der Buslinie 241 bis Haltestelle Kirnitzschtal, Beuthenfall. Infos unter: vvo-online.de
– Alternativ: S-Bahn S1 bis Bad Schandau, von dort mit der Fähre nach Bad Schandau, Elbkai übersetzen. Der Preis ist im S-Bahn-Ticket inkludiert. Den kurzen Fußweg ins Tal reinlaufen und die Kirnitzschtalbahn ebenfalls bis Station Beuthenfall nutzen. ACHTUNG: Der Fahrpreis für die Kirnitzschtalbahn muss extra entrichtet werden und kostet zur Zeit 6,- € pro Person (Stand: 2020). Günstiger wird es, wenn man Hin- & Rückfahrt zusammen bucht.
– Mit dem Auto kommt man zwar auch ins Kirnitzschtal, allerdings sind die Parkplätze dort nur sehr klein und meist komplett überfüllt. Es empfiehlt sich die Anreise mit dem ÖPNV.
AUSRÜSTUNG.
Für diese Wanderung benötigt es etwas Ausdauer aber ganz wichtig: Trittsicherheit und Schwindelfreiheit für den Gipfel. Der ist nur über freistehende Eisenleitern und zum Teil ungesicherte Sandsteinstufen zu erreichen, die mitunter rutschig sein können.
UNTERKUNFT.
Empfehlenswert und als Ausgangspunkt für diese Wanderung ist die Pension am Lichtenhainer Wasserfall. Die liegt genau eine Station hinter dem Beuthenfall und ist Endziel dieser Wanderung.
ESSEN & TRINKEN.
Da es sich bei entsprechendem Wetter und Pausen auch um eine Tageswanderung handelt, wäre es nicht verkehrt, Essen und vor allem Trinken dabei zu haben. Denn: unterwegs gibt es keine Einkehrmöglichkeiten. Wer unterwegs speisen möchte muss seine Planungen rund um den Kuhstall machen, der aber erst am Ende der Wanderung vorgesehen ist.
BESONDERER TIPP.
Picknick-Decke einpacken und das laue Lüftchen auf dem Winterstein genießen. Der freie Gipfel bietet einen fantastischen Ausblick, den man ruhig etwas länger genießen sollte. Beim Rückweg noch etwas Zeit am Kuhstall einplanen. Die Kuchen (besonders die typisch Sächsische Eierschecke) sind selbstgemacht und richtig lecker.
ACHTUNG.
In der Sächsischen Schweiz frisst sich der Borkenkäfer durch den Baumbestand. Hin und wieder kommt es also vor, das Wege gesperrt sind. Zur Zeit wegen vieler, abgestorbener Bäume durch jenen Borkenkäferbefall. Im Frühjahr meist wegen Schäden durch Frost und Schmelzwasser. Welche Wege aktuell gesperrt sind, kann man online und tagesaktuell bei der Nationalparkverwaltung erfahren.