Winter in Berlin fnden meist ohne Schnee statt. Zumindest in den letzten Jahren. Und damit immer häufiger. Einerseits ist das zwar für eine Großstadt wie Berlin ganz gut, da sie es ja eh nicht rechtzeitig gebacken bekommt, sich entsprechend darauf vorzubereiten. Andererseits aber ist das ein richtig schlechtes Zeichen. Kilmatechnisch betrachtet. Denn wer vor sechs Jahren in dieser Stadt geboren wurde, hat noch nie einen richtigen Winter in Berlin erlebt. So einen, wo man sich tagelang durch dichten Schnee zur nächsten U-Bahn kämpfen muss. Große und feuchte Flocken, die – egal wie man sich wendet – immer genau ins Gesicht klatschen und man so warm eingepackt ist als wäre man in Sibirien. Und natürlich noch voller Hoffnung, dass der ÖPNV nicht bereits komplett zusammen gebrochen ist. Gab es lange nicht mehr. Also den Winter. Das mit dem ÖPNV gibts dafür recht oft.
Was es allerdings in den letzten Jahren zu Hauf gab, waren graue Tage. Viel zu kurz und dunkel luden die eher zum Bingewatching auf der Couch ein als zum Spaziergang vor die Tür. Jeder Sonnenstrahl wird herbeigesehnt. Und bricht sie dann doch mal durch die Wolken, muss man meist arbeiten. Auch ne blöde Kombi. Letzten Samstag jedoch war es einer dieser Tage, der als schlecht prognostiziert wurde, sich dann aber doch recht freundlich zeigte. Entgegen der Vorhersage der WetterApp brach immer mal wieder eine überraschend warme Sonne durch das Alltagsgrau. Da die Wanderschuhe ja eh immer bereitstehen, dauert es keine dreißig Minuten und schon sitze ich in de S-Bahn in Richtung Natur.
Startpunkt ins Tegeler Fliess: S-Bahnhof Waidmannslust
In der S-Bahn bin ich mit meinem Vorhaben nicht allein. Mit Rucksäcken, Wanderklamotten und entsprechenden Wanderstiefeln lassen sich die kleinen Grüppchen Gleichgesinnter doch recht eindeutig zuordnen. Kein Tourist, sei er auch noch so anspruchsvoll in Outdoor-Klamotten gekleidet, würde so durch die Metropole bummeln. Dabei überrascht es mich immer wieder, wie viele Berliner es dann doch aus der Stadt rauszieht, sobald das Wetter eine Wanderung zulässt. Nur ihr Ziel scheint ein anderes, entfernteres. Sie bleiben sitzen, während ich in Waidmannslust aussteige.
Ab dem S-Bahnhof Waidmannslust verläuft die Wanderung entlang des Packereigrabens. Dieser schlängelt sich durch eine krude Mischung aus kleinen Eigenheimen und Wohnblöcken aus Beton. Spielplätze sind genauso eingezäunt wie der Bolzplatz oder der Pausenhof einer Schule. Nur der Graben sammelt grüne Wiesen um sich. Den Trampelpfad darauf muss man sich jedoch hart erkämpfen. Feucht und matschig windet er sich zwar entlang des Grabens, bezahlt man ihn aber mit schmutziger Kleidung und dreckigen Schuhen. Berliner Vorstadt halt.
Auf die Lübarser Höhe (85m)
Durch die Bäume und hinter den Feldern, die trist und öde auf neues Saatgut warten, blinzeln die ersten Beton-Hochbauten des Märkischen Viertels. Wer bisher nicht verstanden hat, warum der Ghetto-Rap in Berlin mit Sido & Co. so erfolgreich Fuß fassen konnte, wird beim Anblick der Betonwüste ganz sicher Verständnis entwickeln. Von der Lübarser Höhe aus, einem kleinen Stadtberg mit Weitblick, zeigt sich eines der ärmsten Kieze Berlins von seiner romantischen Seite. Dennoch stagnieren hier Entwicklung und Hoffnung seit Jahren.
Immer mal wieder bricht die Sonne durch die Wolken und schnell werden aus den tatsächlichen zwei, drei Grad ein gefühlter Frühling. Dennoch ziehen vom Norden eiskalte Winde über die Lübarser Höhe. Urspünglich war die mal eine Deponie und trug dementsprechend den Namen „Müllberg“. Erst ein Wettbewerb mit über 180 Vorschlägen führt seit 2010 zur heutigen Bezeichnung. Und einem Freizeitpark mit Berlins einzigem Rodel- und Skihang, der sogar über ein Flutlicht verfügt. Zu dumm, dass Berlin seit Jahren schon keinen richtigen Winter mehr erfährt.
Durch das Tegeler Fliess
Von der Lübarser Höhe folge ich dem Weg erst bergab und danach erneut über die Felder. Die Wanderung verläuft ab hier schnurgerade nach Norden und auf dem Trampelpfad komme ich schnell voran. Einen Kilometer später stoße ich auf einen idyllischen See, der für einen kurzen Moment in der Sonne glitzert. An seinem Ufer mache ich Rast und genieße die wärmenden Strahlen. Von Westen ziehen derweil bedrohlich dunkle Wolken auf.
Wenn es die letzten Tage viel geregnet hat, kann es passieren, dass das Fliess ordentlich Wasser führt und nicht weiß wohin damit. Oder vielmehr sich die Wassermassen einfach irgendeinen Weg suchen. Zur Not halt auch den Wanderweg. Der ist an einigen Stellen derart stark überflutet, dass sogar meine eigentlich wasserdichten Schuhe immer wieder bis zum Knöchel in dem klaren Pfuhl versinken und innen nass werden. Gerade aus den kleinen Trampelpfaden werden richtig kleine Bäche, die gemächlich vor sich hinfließen.
Immer wieder muss ich umkehren und summieren sich die kleinen Umwege am Ende auf fast 2,5 Kilometer zusätzlich. Erst kurz vor der Siedlung wird aus dem sandigen Weg ein hölzerner Steg. Der ist extra dafür angelegt worden und weiß mit Infotafeln in einfacher Sprache selbst Kinder neugierig auf das Tegeler Fliess zu machen. Wer also alles über den ökologischen Nutzen dieses Gebiets und seine Tierwelt erfahren möchte, sollte hier etwas mehr Zeit einplanen.
Über das Freibad Lübars zurück zum S-Bahnhof
Danach gelange ich wieder etwas mehr in Richtung Zivilisation. Mich beeindruckt ja stets aufs Neue, wie schnell man dann doch aus Berlin raus und im Grünen ist. Und umgekehrt, wie schnell man vom Grünen wieder zurück in der Stadt ist. Im kleinen Vorort Lübars schaue ich mir noch schnell das weithin bekannte Strandbad an, welches allerdings im Winter nicht nur verschlossen, sondern regelrecht verrammelt ist. Hohe Zäune umgeben das Areal und lassen nur einen flüchtigen Blick von außen erhaschen. Muss ich wohl nochmal im Sommer vorbeischauen, wenn das Wetter dementsprechend und das Bad geöffnet ist. Was ich durch das Gitter erspähen konnte, macht jedenfalls neugierig.
Kurz vor Ende der Wanderung genieße ich bei letzten Sonnenstrahlen nochmals die Möglichkeit zu rasten. Direkt am Ufer des Hermsdorfer See gibt es einige Stellen, an denen aufragende Wurzeln oder Bänke dazu einladen. Wer sich nicht am schlammigen Boden und dem trüben Wasser stört, könnte hier sogar mal kurz abtauchen und erfrischen. Heute jedoch genieße ich die Stille inmitten der Stadtgrenze und beobachte Schwäne, Reiher und andere Tiere bei ihrem Tun.
Lauthals drehen die Wildgänse auch schon ihre ersten Runden um das Tegeler Fliess. Meistens sagt man ja, wenn die zurückkommen, wäre kein Wintereinbruch mehr zu erwarten. Naja, damit wäre ich nicht nur wieder am Anfang meiner Wanderung sondern auch meiner Überlegungen. So richtig Winter wars schon lange nicht mehr in Berlin. Aber dafür habe ich eine richtig tolle Wanderung in Berlin entdeckt, die abwechslungsreich ist und echt Spaß macht. Hiermit wird das Nachwandern ausdrücklich empfohlen.
Tipps & Infos
HINKOMMEN.
↠ Ausnahmslos mit dem Berliner ÖPNV. Die S-Bahnen S1 und S26 fahren direkt bis zum Bahnhof Waidmannslust. Die Wanderung startet direkt hier.
↠ Berlin und Parkplätze sind keine richtigen Freunde mehr. Die Menschen in ersterem benötigen richtig viel Platz und verdrängen damit letzteres. Man könnte zwar auch mit dem Auto herfahren und hier irgendwo parken, das ist aber absolut unsinnig. Mit dem ÖPNV ist es nicht nur viel nachhaltiger, sondern auch klüger.
AUSRÜSTUNG.
Für diese Wanderung benötigt es keinerlei besondere Ausrüstung und ist auch als größere Gassirunde mit einem Hund sehr gut machbar.
ESSEN & TRINKEN.
Da es sich mit entsprechenden Pausen auch durchaus um eine Tageswanderung handelt, wäre es nicht verkehrt, Essen und Trinken dabei zu haben. Vor allem im Sommer. Denn: unterwegs gibt es zwar Einkehrmöglichkeiten, allerdings empfiehlt es sich entweder auf der Lübarser Höhe oder an einem der Seen im Tegeler Fliess eine längere Rast zu machen.
BESONDERER TIPP.
Der Weg ist total abwechslungsreich. Anfangs noch durch die Betonbauten der Stadt, wenig später über die Felder, dann auf die ehemalige Deponie Lübarser Höhe und letztlich auch auf Holzwegen durch die Wasserwindungen des Tegeler Fliess. // WENN es die Tage vor der Wanderung ausgiebig geregnet haben sollte, empfehlen sich Gummistiefel. Das Fliess ist dann meist mit sehr viel Wasser gefüllt und können die Pfützen knöchelhoch anschwellen. // IM SOMMER unbedingt Badesachen einpacken. Das Strandbad Lübars ist wunderschön und lohnt sich ein abschließendes Bad. Was man aber auch am Hermsdorfer See machen kann. Dort sogar kostenlos – je nach Belieben.