Auf den Gipfeln jenseits der 2.000 Höhenmeter hat es den ersten Schnee gegeben und auch der Morgen kündigt sich mit unangenehmer Kühle an. Bestes Wetter also, um mal nicht die Berge des Aostatals zu besteigen, sondern Attraktionen abseits der Wanderwege zu erkunden. Seit Jahrhunderten werden in dieser Region handwerkliche Betriebe aufrecht gehalten und mit sehr viel Hingabe die langlebigen Traditionen liebevoll gepflegt. Einige davon werde ich heute besuchen.
Les Sabots d’Ayas (Ayastal / Aostatal)
Im Ayastal, unweit des kleinen Örtchens Champoluc, liegt die noch kleinere Ortschaft Antagnod. An der Hauptstraße, unauffällig hinter einem Rundbogen versteckt, fällt ein kleiner Laden, der mit seinem verspielten Schaufenster zum Bummeln einlädt, besonders auf. „Les Sabots d’Ayas“ steht dort in großen Lettern geschrieben und macht mich neugierig. Sabots, diesen Begriff habe ich in den letzten Tagen schon häufiger gehört. Damit gemeint sind die traditionell hergestellten Holzschuhe, den niederländischen Klompen nicht ganz unähnlich.
Als ich den Laden betrete, der eigentlich nur aus einem Regal, einem Vorhang und einem Verkaufsthresen besteht, werde ich von Michel Becquet freundlich begrüßt. Ihm gehört der Laden und er ist einer von den wenigen übrig gebliebenen Herstellern der Sabots im Aostatal. „Ganze fünf sind es nur noch“, gibt er mir zu verstehen. Das Handwerk muss beherrscht werden, was nicht jeder tut und braucht Zeit, um aus einem Stück Holz diese Art der Schuhe herzustellen. „Aber wenn sie mal fertig sind, passgenau auf den Fuss zugeschnitten, möchte man sie nicht mehr missen“ versucht er mir mit einem Zwinkern die Besonderheiten der Schuhe zu erklären. Er lädt mich ein, seine Werkstatt zu besuchen. Die liegt vor neugierigen Augen geschützt hinter dem Vorhang und wirft mich augenblicklich in eine andere Zeit zurück.
Drei bis vier Stunden braucht es ungefähr, um aus einem Stück Holz ein paar Schuhe zu machen. Verkauft werden sie je nach Aufwand für ca. 40 Euro. Rechnet man nach bleibt etwas mehr als der Mindestlohn übrig. Zieht man noch Materialkosten, Miete und Werkzeug ab, sogar noch weniger. Und dennoch habe ich den Eindruck, dass er glücklich ist. Das Leben in den Bergen, abseits großstädtischen Treibens, scheint vielleicht nicht nur glücklicher, sondern auch genügsam zu machen. Er vermisse nichts, ganz im Gegenteil. Außerdem brauche er für das Holz nichts zu zahlen, gibt er mir hinter vorgehaltener Hand zu verstehen. Gemeinsam mit dem Förster ziehe er im Sommer durch die Wälder und bestimme, welche Bäume er für die Sabots schlagen und nutzen darf. Nur abholen müsse er sie selbst. Doch dafür seien es die besten Hölzer des gesamten Aostatals.
La Fontina (Ayastal / Aostatal)
Etwas höher gelegen, dafür nicht minder interessant, offenbart sich die Alm La Tchavana als wahres Eldorado für Käseliebhaber. In den Räumlichkeiten direkt daneben sind nämlich Stall, Verkaufsraum und Molkerei untergebracht. Hier wird nicht irgendein Käse produziert, sondern Fontina. Weit über die Grenzen des Aostatals hinaus verwöhnt diese Köstlichkeit so manchen Gaumen und macht vom ersten Bissen weg abhängig. Das wissen auch die Hoteliers der Umgebung zu schätzen und erwerben hier regelmäßig ganze Laibe. Alles zum Wohl ihrer Gäste.
Die knapp 35 Kühe stehen fast das ganze Jahr auf den umliegenden Wiesen und bekommen somit nur beste Weidekräuter zu fressen. Selbst im Winter haben sie die Möglichkeit, der Enge des Stalls zu entfliehen. Auf industriell gefertigte Zusatznahrung wird verzichtet, genauso wie auf die Gabe von Antibiotika oder anderen Medikamenten. Jeden Morgen werden die Kühe gemolken, auch am Wochenende. Noch warm kommt die Milch direkt in die Molkerei und wird begonnen, daraus den leckersten Käse herzustellen. Mehr als Bio also. Und das schmeckt man auch.
Tascapan (Aostatal)
Eines der wohl spannendsten Projekte des gesamten Aostatals jedoch dürfte das Projekt „Tascapan“ sein. Zu Füßen des mächtigen Gran Paradiso gelegen ist es in einem der ursprünglichsten Bauernhäuser der Region beheimatet. Das heutige Ethnographische Museum Maison Bruil lässt erahnen, wie die Bauern über Generationen hinweg im Einklang mit Natur und Vieh gelebt haben. Verschachtelt über mehrere Etagen und verwinkelte Treppen gelangt man vom Stall im Erdgeschoss über Bauernstube und Küche in die Schlafräume unterm Dach. Ausgefeilt wurde so gerade im Winter die Körperwärme des Viehs zur Heizmöglichkeit fürs ganze Gebäude. Absolut sehenswert.
Darüber hinaus ist Tascapan aber mehr. Unter seinem Dach vereint das Projekt eine Vielzahl landwirtschaftlicher Produzenten, die – zumeist familiengeführt – jede für sich die Traditionen des Aostatals weiterleben lassen. Mathieu Champetravy heißt der junge Unternehmer, der nach erfolgreichem Studium den genossenschaftlichen Gedanken aufgriff und mit seinen knapp 30 Jahren feste Größen des Aostatals unterstützt und vereint. Denn eines ist sicher: Gemeinsam ist man stärker als allein. Jeder der unterschiedlichsten Landwirte und Handwerker trägt einen kleinen Teil dazu bei, Tascapan lässt es zur vollen Größe reifen. Davon überzeugen kann man sich im kleinen Shop, der eine Vielzahl der im Aostatal ausgestellten Produkte für den käuflichen Erwerb präsentiert.
Abwechselnd werden den Besuchern des Museums im Aostatal ansässige Unternehmen vorgestellt. Die Freude ist groß: heute ist Apfeltag im Tascapan. Ähnlich einer Weinprobe erfahre ich Vorzüge und Nachteile der unterschiedlichen Apfelsorten, gewinne einen Einblick in Produktion und Handwerk. Bei der Manufaktur Saint Grat wird ein längst verschollen geglaubter Apfel hochgelobt – der Renetta. Aus ihm produzieren Ivo und sein Sohn Michel den leckersten Apfelsaft, den ich je getrunken habe. Doch nicht nur das. Auf den knapp sieben Hektar großen Obstwiesen wachsen auch die bei uns bekannten Sorten Golden Delicious, Royal Gala und viele andere mehr. Mit viel Liebe und Hingabe haben sie es geschafft, ihr Unternehmen stark zu machen. Auch und dank der Unterstützung des Projekts Tascapan. Über dessen Webseite lassen sich die Produkte nämlich bestellen und nach Hause liefern.
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