An den Quellen von Prameny
Auch am dritten Tag schmeckt das Quellwasser brackig, salzig und alles andere als gesund. So recht mag ich mich einfach nicht an den Geschmack gewöhnen. Aber wenn’s gesund sein soll, wird’s halt auch von mir getrunken. Jeden Tag eine mittelgroße Schnabeltasse davon. Die habe ich mir besorgt, stilecht sollte es ja schon zugehen auf meiner Wanderung durch den Kaiserwald. Und gerade jetzt, direkt nach dem Frühstück, habe ich noch Lust auf mineralhaltiges Quellwasser, sind meine Geschmacksnerven eh noch nicht so richtig wach.
Gerade einmal 500 Meter von meiner Pension in Prameny entfernt gibt es zwei dieser Heilquellen. Wie üblich tragen sie Namen, warum auch immer. Diese hier heißen Gisela und Rudolv. In den Boden gegraben und mit einer Steinmauer umfasst tummeln sich im darunter liegenden Auffangbecken ein paar Spatzen. Offenbar fühlen sie sich unbeobachtet. Abwechselnd spielen und trinken sie, spritzen sich dabei gegenseitig voll. Erst als ich einen Schritt zu viel auf sie zumache, stieben die Sperlinge in alle Himmelsrichtungen davon und zetern von den Bäumen auf mich herab. Ich fülle meine Flasche mit dem lauwarmen Sud und starte gutgelaunt in meinen heutigen Wandertag.
Von Prameny nach Kladska (21km)
Doch der begrüßt mich neblig und kalt. Als hätte sich der Frühling es noch einmal anders überlegt, hängen die Wolken heute tief, schwer und grau. Der Wanderweg folgt die ersten Kilometer einer Landstraße, die zum Glück nur wenig befahren ist. Schon von Weitem kündigt das ferne, noch leise Brummen herannahenden Verkehr an, bevor der Sog vorbeifahrender Kraftfahrzeuge mich wohlwollend ein Stück mitzieht. An einem Straßenrand zu wandern ist zwar stets etwas gefährlich, aber irgendwie auch schön. Für meinen Geschmack viel zu selten komme ich daher in den Genuss zu spüren, wie der Fahrtwind mich ein Stück trägt. Ganze fünf Fahrzeuge und genauso viele Kilometer sind es, die auf diesem Teil der Wanderung gelaufen werden, ehe ein künstlich angestauter See meine Neugier weckt und mich abseits der Fahrbahn lockt.
Nach mir wird es genauso sein wie davor. Auch mal schön, die eigene Unwichtigkeit gespiegelt zu bekommen.
In der Mitte des Gewässers, nicht viel größer als zwei Fußballfelder, ruht eine kleine Insel, an seinem Ufer ein Trampelpfad. Das wahrscheinlich anstrengendste Stück des heutigen Wandertages dürfte somit geschafft sein. Und bringt mich sogleich zur Ruhe. Ein Entenpaar gleitet leise über das Wasser, hoch in den Bäumen zerrt der Wind an den Blättern, Sperber und Meisen jagen sich gegenseitig im Flug. Ein zärtliches Rascheln, ein leises Plätschern – sonst nur Stille und Einsamkeit. Verstohlen blickt ein Reh durchs Dickicht, läuft aber schnell wieder davon. Hier scheint die Natur noch Natur zu sein und ich ein ungebetener Gast. Ob ich da bin oder nicht ändert Nichts am gegenwärtigen Zustand. Es wird nach mir genauso sein wie davor. Auch mal schön, die eigene Unwichtigkeit gespiegelt zu bekommen.
Das Hochmoor rund um Kladska
Dem Trampelpfad folgend stoße ich wenig später auf einen weiteren See, an dessen gegenüberliegendem Ufer ein kleiner Pavillon zum Verweilen einlädt. An seinem Zuweg steht ein Hinweisschild und gibt Auskunft über die Seen und das Hochmoor von Kladska. Obwohl letzteres weitgehend in natürlichem Zustand erhalten werden konnte wurden die Seen zum großen Teil künstlich angelegt. Und das aus gutem Grund. Als sich im nahegelegenen Slavkov der Bergbau zu einer lukrativen Einnahmequelle entwickelte, benötigten die Erzmühlen jede Menge Wasser zum Auswaschen des Gesteins. Das wiederum wurde aus dem Hochmoor über einen 24 Kilometer langen Kanal abgeleitet. Das muss für damalige Verhältnisse ein riesiges Unterfangen gewesen sein. Schließlich reden wir hier vom 16. Jahrhundert und einer Bauzeit von über fünf Jahren in einer der damals ärmsten und dünn besiedelten Regionen Böhmens.
Lange verweile ich an dem See und sauge die positive Energie des Ortes in mir auf. Irgendwie mag ich nicht so recht loslassen, liege im Gras und beobachte die Wolken beim Weiterziehen. Zwischendrin kleine hellblaue Flecken und ab zu ein Sonnenstrahl. Als ich endlich in Kladska ankomme reißt der Himmel vollends auf und es verspricht ein weiterer, sonniger, aber vor allem viel zu warmer Frühlingstag zu werden.
Von Kladska auf den höchsten Berg des Kaiserwalds
Am beschaulichen Örtchen Kladska vorbei führt mich der Wanderweg die nächsten Kilometer gemächlich bergauf. Schwitzend, durstig – ich kann das mineralische Wasser einfach nicht mehr trinken – und voller Hoffnung auf eine tolle Aussicht quäle ich mich die gesamten 6,5 Kilometer bis zum Gipfel in einem Stück. Doch ich werde enttäuscht. Mit 978 Metern über Meeresniveau wird mir der Ausblick auf die umliegende Landschaft verwehrt. Eine kleine Lichtung und ein noch kleinerer Unterstand sind alles, was es vom höchsten Punkt des Kaiserwalds zu sehen gibt. Ringsum dichte Kiefernwälder, Sträucher und Gestrüpp. Na toll, denke ich noch bei mir. Der Umweg hat sich ja mal so richtig gelohnt.
Dass Kladska einst Jagdrevier böhmischer Fürsten war wird mir von wirklich jeder Wand des Gasthofs entgegen geschleudert.
Daher hält es mich auch nur eine kurze Pause auf der Anhöhe, bevor ich mich auf den Rückweg mache. Das nur im Vorbeigehen gestreifte Kladska ist mein eigentliches Tagesziel, und meine Unterkunft in einer urigen Pension bereits gebucht. Wobei urig hier wortwörtlich zu verstehen ist. Dass Kladska einst Jagdrevier böhmischer Fürsten war wird mir von wirklich jeder Wand des Gasthofs entgegen geschleudert. Geweihe von Rot- und Damwild, ausgestopfte Fasane, Felle von Wildschweinen – sie alle zieren die Wände und machen klar, wer hier im Hause der eigentliche Herr über Natur und Tier ist. Dem Jagen, dem Töten von Tieren aus Spaß und Zeitvertreib konnte ich noch nie etwas abgewinnen. Aber hey: authentisch ist diese Pension bis in den allerletzten Winkel. Auch die holzvertäfelten Wände meines Zimmers tragen dazu bei, dass ich mich für eine viel zu kurze Nacht lang ein ganz klein wenig wie ins 18. Jahrhundert zurückversetzt fühle.