Saudi-Arabien. Was auf den ersten Eindruck nach Wüste, Kamelen und erzkonservativem Islam klingt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als ein Land voller spannender Gegensätze. Schamlos offen gelebter Kapitalismus, protzender Reichtum und auf der Gegenseite eine Herzlichkeit, die ernst gemeint und wie selbstverständlich gelebt wird. Gerade letzteres mag den auf Abstand bedachten Europäer hin und wieder auch so ein bißchen verdächtig vorkommen. Na klar, das Land war bis vor kurzem fast komplett verschlossen. Besaß man kein Arbeitsvisum, durfte man nicht einreisen. Zudem tragen bis heute der ungeklärte Mord am Journalisten Jamal Khashoggi und die Nichtanerkennung des Staates Israel nicht unbedingt zu einem positiven Gesamteindruck bei. Doch glücklicherweise haben genau solche Umstände den Autor Stephan Orth bisher nicht abgehalten, eben solche Länder aufzusuchen.
Du kannst zu Hause der langweiligste Durchschnittstyp sein, am Zielflughafen verwandelst du dich in jemanden, der als exzentrisch & interessant wahrgenommen wird, ohne mehr dafür tun zu müssen, als einfach du selbst zu sein.
Stephan Orth
Ganz im Gegenteil. Nach Russland, Iran und China wagt er sich erneut in eines der wohl interessantesten und vielleicht ambivalentesten Länder dieser Welt. Mit der Einführung eines Touristenvisums 2019 ist es nun möglich, Saudi-Arabien ziemlich frei zu bereisen. Das ist allerdings nach wie vor eine Monarchie, weiß aber mit zwei der heiligsten Stätten des Islam aufzuwarten: die Kaaba in Mekka und die Moschee in Medina. Noch bevor die frisch geöffneten Grenzen aufgrund der aufziehenden Pandemie wieder geschlossen werden, wagt Stephan Orth den Versuch, das Land zu erkunden. Wie immer bei Fremden auf der Couch und mit dem Blick fürs Detail. Mal ernsthaft hinterfragend, mal mit unterschwelligem Humor. Aber immer mit offenen Augen. Halt so, wie ich es zu lesen liebe…
Stephan Orth in Saudi-Arabien
Ankunft Dezember 2019. Vom neuartigen Virus hat man zwar schonmal gehört, aber nur als Randnotiz in den Nachrichten. Zeitgleich reist Stephan Orth in ein Land, in dem die öffentliche Ausübung des Christentums verboten ist. Wie dann also Weihnachten feiern? In der Wüste, heimlich im Verborgenen und mit Gleichgesinnten. Schon bei der ersten Begebenheit erfährt der Autor, dass hinter hohen Mauern zuweilen eine gänzlich andere Welt existiert und gelebt wird. Man schweigt, man redet, man feiert – etwas gedämpft, fast schon bizarr, immer im Hinterkopf die drohende Strafe. So widersprüchlich dürfte Weihnachten wohl bisher noch nie in einem Buch zelebriert worden sein.
Mein Ärger vom Morgen ist einer erwartungsvollen Spannung gewichen, wie sie bei mir nur das Unterwegssein erzeugen kann: eine Wachheit für die Welt, eine kribbelnde Vorfreude auf die nächsten Zufälle.
Stephan Orth
Als kompletter Gegensatz ein Besuch des größten Musik-Events in der Geschichte Saudi-Arabiens, eine Mega-Open-Air-Party mit mehr als 100.000 Menschen. Und der Autor mittendrin. Zwischen Jugendlichen, die nach streng muslimischen Regeln mit Niqab oder Abaya verhüllt sind, trifft Stephan Orth auch Frauen, die ihn – ziemlich westlich orientiert – in Jeans und mit offenem Haar ansprechen. Seit wenigen Monaten ist das zwar nicht mehr verboten, aber noch nicht sehr weit verbreitet. Dafür sieht er Männer in Verhüllung, um von den unverhältnismäßig vielen Handys nicht gefilmt, letztendlich nicht erkannt zu werden. Verschleierung einmal andersherum.
Wüste & Kamele – Mein Fazit
So reist Stephan Orth von Stadt zu Stadt, von Eindruck zu Eindruck. Dschidda, Riad, Tabuk – in 9 Wochen legt er beeindruckende 8.600 Kilometer zurück und lernt ein Land kennen, dass nicht nur durch Ambivalenz und politischer Fragwürdigkeit auffällt, sondern vor allem durch Menschen, deren Herzlichkeit einmalig ist. Gastgebertum wird großgeschrieben seit Saudi-Arabien versucht, das finanzielle Landes-Einkommen divers zu gestalten und vom Erdöl unabhängig zu machen.
Ganz nebenbei erfährt der Leser sehr viel über Kamele (nicht umsonst die Lieblingstiere des Autors), bereist eindrucksvolle Gebiete, schläft in der Wüste und lernt so eine Kultur kennen, die sich zwar der Monarchie verschrieben hat, aber auch Sehnsüchte nach Freiheit und Liberalität entwickelt. Und dadurch in einen Zwiespalt zwischen Vergangenheit und Zukunft gerät. Das macht nicht nur ordentlich viel Spaß zu lesen, sondern bildet. Auch weil der Autor aus Unkenntnis in das ein oder andere Fettnäpfchen tritt und erfahren muss, das es tatsächlich Menschen gibt, die Hitler nach wie vor für ‘nen coolen Typen halten.
In Summe hab ich das Buch* verschlungen. Wie schon in den drei Vorgänger-Büchern schafft es der Autor erneut, meine Abenteuerlust und Neugier für ein Land zu wecken, das ich bisher so gar nicht auf der Agenda hatte. Deshalb fasse ich zusammen: Vor Ort recherchierter Journalismus war noch nie so unterhaltsam. Und ist damit meine ausdrückliche Leseempfehlung, die auch als zukünftiges Geschenk oder an lauen Frühlingsabenden sehr viel (Reise-)Freude auslösen dürfte.
Verlosung „Couchsurfing in Saudi-Arabien“ von Stephan Orth
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Couchsurfing in Saudi-Arabien
Geschrieben von Stephan Orth
Erschienen bei Malik
256 Seiten | € 18,- [D] | € 18,50 [A]
ISBN 978-3-89029-570-1
Vielen Dank an den Malik Verlag für die Zurverfügungstellung des Rezensions- und Verlosungsexemplars.