Startpunkt: Aschau im Chiemgau
Die Temperaturen steigen schon beizeiten auf milde Werte und die Sonne schafft es heute, im Gegensatz zu gestern, recht früh den Morgennebel zu vertreiben. Lange hält es mich daher nicht beim Frühstück im Hotel sondern zieht mich hinaus in die Berge. Mit dem Auto über Marquartstein fahrend parke ich den Wagen in Aschau, genauer gesagt in Kohlstatt. Der dortige Wanderparkplatz ist kostenlos und perfekter Startpunkt fürs Kampenwand wandern.
Bis zur Maisalm, einer idyllisch gelegenen Wirtschaft, sind es zwar nur knapp drei Kilometer, dafür geht es aber sofort steil bergan. Anfänglich auf Asphalt wechselt das Terrain wenig später und wird zu einem Forstweg. Der ist immer noch breit genug, um auch entgegenkommenden Wanderern oder Bikern ausweichen zu können.
Die Alm lasse ich links liegen, ist es doch noch zu früh für eine Rast oder bereits zu spät für ein zweites Frühstück. Zwar spüre ich die ersten zweihundert Höhenmeter schon etwas in den Beinen, aber gerade habe ich einen Lauf und fürchte, meinen Schwung zu verlieren.
Den Forstweg an der Maisalm vorbei wandernd biege ich wenig später in den Aufstieg ab. Fortan geht es steil bergauf, wollen Felsen und Vorsprünge überstiegen werden und ärgere ich mich, nicht doch noch eine Pause gemacht zu haben. Was soll’s, der Gipfel rückt immer näher, auch wenn er mehr zu ahnen als zu sehen ist. Dafür ist die Aussicht unterhalb des Zwölferturms phänomenal und belohnt die bisherige Anstrengung.
Auf den Gipfel der Kampenwand
Unterhalb des Gipfels ist es dann auch schlagartig vorbei mit der Ruhe und Einsamkeit. Dank moderner Seilbahntechnik ist es Hinz und Kunz möglich, schwierigste Aufstiege unkompliziert und einfach zu überwinden. Immer wieder komme ich dabei mit mir in den Konflikt, das mal gut und mal richtig doof zu finden. Gut meist dann, wenn ich selbst keine Lust auf Anstrengung habe und dankbar für deren Existenz am Berg bin, ziemlich doof, wenn ich eben wie jetzt durchgeschwitzt ankomme und andere ganz entspannt beim Bier sitzen. Gehörten die Berge mal denen, die bereit waren für eine tolle Aussicht ein paar Opfer in Form von Schweiß und Fußblasen zu bringen, ist er heute scheinbar touristisches Allgemeingut und somit für jedermann zu erreichen.
Daher hält es mich keine Minute auf der Steinlingalm, auch wenn sie ziemlich einladend zu Füßen der Kampenwand ruht. Naja, wobei ruht hier auch romantisiert gemeint ist. Alle Stühle und Bänke sind komplett besetzt, aus den Lautsprechern tönt lautstark Blasmusik und das Gerede der Rastenden tut sein übrigens zur allgemeinen Lautstärke. Konnte ich die beiden letzten Tage innere Stille auf den Gipfeln finden, fällt mir das hier verdammt schwer.
Von der Steinlingalm führt der Weg fortan steil bergauf. Zum Teil muss ich mich an Felsen festhalten, hochziehen oder auf allen Vieren kraxeln. So richtig Wandern würde ich das jetzt nicht mehr nennen. Eher wohl Steigen, also Bergsteigen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Weg nicht mehr wirklich ausgeschildert ist, sondern nur noch auf vereinzelte Felsen gemalte rote Punkte eine ungefähre Richtung vorgeben. Da ich aber nicht der Einzige bin, der sich die Steilwand hinauf quält, folge ich kurzerhand den anderen.
Direkt unterhalb des Gipfels, dessen Eisenkreuz mit 12 Metern Höhe angeblich das größte im gesamten bayrischen Alpenraum sein soll, muss noch eine kurze Klettersteigpassage überwunden werden, bevor es von Osten direkt auf den Gipfel geht. Mir entgegen kommt eine junge Frau, die drei Hunde unterschiedlicher Größe bei sich führt. Die Tiere zittern und fiepen, ich kann nicht sagen ob vor Freude oder vor Angst. Von mir darauf angesprochen lacht sie und meint, das wäre die Aufregung. Sie erzählt, dass dies nicht das erste Mal wäre, welches die Vierbeiner auf dem Gipfel gewesen seien. So richtig mag ich ihr nicht glauben und wünschte mir, Tiere könnten uns wirklich verständlich machen, was in ihnen vorgeht. Aber da wir Menschen das ja nicht einmal untereinander so richtig hinbekommen, wird das wohl auch weiterhin nur Wunschdenken meinerseits bleiben. Da sie ihre Tiere hoffentlich kennt, schenke ich ihr Glauben und kraxle die letzten Meter auf den Gipfel, während die Tölen galant von Stein zu Stein in Richtung Tal springen.
Die Küsterin aus Schleching hatte recht. Zwar kenne ich die Aussicht vom Geigelstein nicht, aber diese hier verschlägt mir den Atem. Naja, das kann vielleicht auch ein wenig an der steifen Brise liegen, die es mir in dieser Höhe schwer macht Luft zu holen, aber ich bilde mir ein, es ist die Aussicht. Die lohnt sich nämlich wirklich.
Die frechen Dohlen der Kampenwand
Das Gipfelplateau ist klein, etwa sechs Menschen haben auf ihm Platz. Da der Andrang jetzt zur späten Mittagszeit immer größer wird und sich bereits eine kleine Schlange am Übergang gebildet hat, verweile ich nur kurz auf dem Ostgipfel. Unterhalb, in einer windgeschützten Ecke mach ich dann endlich Rast. Offenbar ist das ein beliebter Platz dafür, denn kaum sitze ich, habe ich tierische Gesellschaft.
Urplötzlich kommt ein Paar Dohlen herbei geflogen und bringt sich keine zwei Meter von mir in eine strategisch günstige Position. Da ich immer nur eine im Auge behalten kann, überrascht mich dann doch die gerade nicht in meinem Blickfeld befindliche und stibitzt mir den mitgebrachten Keks direkt aus der Packung. Mit lautem Gegacker fliegen beide davon, streiten noch ein wenig, wer welches Stück bekommt und verzehren anschließend in Sichtweite ihr Diebesgut.
Abstieg nach Aschau
Letztlich ist es dann doch bereits Nachmittag geworden. Da ich nichts langweiliger finde, als den gleichen Weg zurück zu gehen, entschließe ich mich, einen anderen Rückweg einzuschlagen. Von der Steinlingalm geht es unterhalb des Sessellifts, der im Moment außer Betrieb ist, bis zur Gorialm steil bergab. Hier komme ich doch noch in den Genuss eines kühlen Bieres an einem vornehmlich ruhigen Platz. Viele der Tagestouristen an der Kampenwand, die mit dem Lift herauf gefahren sind, tun dies offenbar auch wieder herunter. Das vertröstet mich etwas mit dieser Art Völkerwanderung. Ein Bier bei der Aussicht ist einfach unschlagbar und ich bin dankbar für diesen ereignisreichen Tag in den Chiemgauer Alpen. Vielleicht wird ja doch noch aus mir ein kleiner Bergsteiger. Zumindest heute hatte ich sehr viel Freude daran.