Noch ein Tag im PillerseeTal
Obwohl die Nächte jetzt im September bereits etwas kühler sind, schafft es die Sonne dennoch, den Tag auf über 20 Grad zu erwärmen. Und wenn ich schon mal da bin, denke ich mir, kann ich mir doch auch noch etwas mehr vom PillerseeTal anschauen. Mit meiner Wanderung auf dem WaiWi durfte ich ja bereits einen ersten Eindruck gewinnen. Und der hat mich überzeugt. Hier gibt es so viel mehr zu entdecken und zu erkunden, aber vor allem zu erwandern – da muss ich einfach noch ein paar Tage dranhängen.
Gesagt, getan. Eine Übernachtung ist schnell gefunden, schließlich ist bereits Nebensaison und kaum noch etwas los. Apropos: wer beim Wandern eher seine Ruhe sucht, dürfte hier im PillerseeTal definitiv fündig werden. Vereinzelt begegne ich zwar ein paar Gleichgesinnten, Rentnern oder jungen Familien. Aber meistens bin ich auf den Wegen für mich allein. Auch mal schön, so inmitten der Alpen.
Von Waidring auf die Steinplatte (1.869m)
Nach einem reichhaltigen Frühstück und einem ausgiebigen Plausch mit der jungen Familie, welche das Chalet Tirol mit sympathischer Herzlichkeit betreibt, mache ich mich auf den Weg. Mein heutiges Tagesziel ist die Steinplatte, die breit und hoch über dem verschlafenen Ort thront und zudem das nördliche Ende des PillerseeTals markiert. Somit hätte ich das Tal dann auch in seiner Gänze durchwandert und auf den jeweils höchsten Punkten im Norden und Süden gestanden. Zumal die Steinplatte einer der zeitgeschichtlich und geologischen Höhepunkte bildet. Auf keinem anderen Gipfel wird man so ausführlich in die Geschichte der Alpen und ihrer Entstehung entführt.
Doch zuerst heißt es die Muskeln an ihre Grenzen bringen. Von Waidring führt der Wanderweg erst auf Asphalt ans Ortsende bis er schließlich in dichten Wald abzweigt und von dort stetig, aber vor allem steil bergauf führt. In Summe gilt es auf den knapp 7 Kilometern bis zum Gipfel gut 1.100 Höhenmeter zu überwinden. Besonders Faule können diesen Teil des Weges zwar auch mit der Seilbahn abkürzen, was um einiges schneller gehen dürfte als das Wandern. Aber das würde dann eben auch nicht mehr „Wandern“ heißen. Was irgendwie schade wäre.
Wenn man sich von Transportseilen unzähliger Kabinenbahnen umzingelt fühlt, hat man es auch schon fast geschafft. An deren Knotenpunkt nämlich, der besonders im Winter die Ski- und Snowboardfahrer zu Hauf anziehen dürfte, ist es Zeit für eine Pause. Im Berghaus Kammerkör, etwas unterhalb des Gipfels gelegen, gibt es Zünftiges in Selbstbedienung. War ich bisher mehr oder weniger allein unterwegs, ist es hier schlagartig mit der Ruhe vorbei. Eine Unmenge an Tagesausflüglern, Touristen und Familien mit Kindern suchen auf der Bergstation Zerstreuung. Und sind herzlich willkommen. Der extra für sie angelegte Triassic Park ist nämlich kostenlos und berichtet auf spielerische Weise, was die Steinplatte in frühzeitlicher Epoche einstmals war – ein Korallenriff.
Urzeitliches kurz vorm Gipfel
Bevor die Alpen zu diesem beeindruckenden Gebirge wurden, schwappten über sie die Wellen des Urmeers Tethys hinweg. Fast 200 Millionen Jahre soll das jetzt her sein, lässt sich aber immer noch erkennen. Versteinerte Muscheln und Krebse wurden in den Klippen der Steinplatte genauso gefunden, wie zu Stein gewordene Korallen. Der Druck des Wasser presste zusammen, was Jahrtausende später eruptiv über das Meeresniveau hochgedrückt wurde. Ist zwar geologisch und zeitgeschichtlich jetzt nicht ganz korrekt, aber ich denke, jeder weiß was gemeint ist. Zu entdecken gibt es im kostenlosen Park vieles. Entweder lässt man sich ein wenig treiben oder folgt dem Triassic Trail, der aufschlussreich erklärt, was sich wie und wann wirklich zugetragen hat.
Letzten Endes kommt man schließlich an einer Aussichtsplattform vorbei, die nur etwas für tatsächlich Schwindelfreie ist. Knapp 70 Meter über dem Abgrund ermöglichen es in den Boden eingelassene Glasscheiben sich für einen Moment wie ein Adler zu fühlen. Der leichte Wind, der mir dabei um die Nase fährt, untermauert diesen Eindruck noch. Fast meine ich, fliegen zu können. Aber eben nur fast.
Auf den Gipfel des Korallenriffs Steinplatte
Bis zum eigentlichen Gipfel sind es dann aber doch noch ein paar Meter. Vor allem Höhenmeter. Vom Kammerkör geht es weiter straff bergauf, was die Muskeln nochmal zusätzlich fordert. 200 Höhenmeter später darf man dann aber endlich auf dem Gipfel der Steinplatte stehen. Bei gutem Wetter und noch besserer Sicht lassen sich hier gut und gern 130 Kilometer oder mehr überblicken. Im Norden strahlt in blauem Glanz und ganz besonderer Größe der Chiemsee zwischen den Bergen hindurch, während im Süden die Gletscher von Großglockner und Großvenediger weiß in der Sonne glänzen. Atemberaubend schön.
Während ich meinen Blick vom Gipfel der Steinplatte über dieses unglaubliche Alpenpanorama schweifen lasse, ertönen direkt neben mir zwei Waldhörner und beginnen melancholisch zu spielen. Mit diesen Tönen im Ohr und dem Panorama vor Augen wäre das nun wohl der passende Zeitpunkt, Abschied vom PillerseeTal zu nehmen. Quasi mit allen Sinnen. Meine Tage in den Kitzbüheler Alpen sind leider schon wieder gezählt. Und auch wenn der Abstieg noch vor mir liegt (der nicht minder anstrengend ist), tue ich es den anderen Gipfelstürmern in diesem Moment gleich. Ich lausche der Melodie, atme die frische Bergluft tief in meine Lungen und erfreue mich an der Tatsache, diesen bezaubernden Ort – das PillerseeTal – entdeckt zu haben. Und ich danke den beiden Waidringern, die vor lauter Langeweile ihre Blechblasinstrumente den weiten Weg herauf geschleppt haben, nur um mir diesen Abschied so schwer wie möglich zu machen. Danke Jungs. Ist euch echt gelungen!