Es ist 8 Uhr morgens. Nachdem es fast die ganze Nacht hindurch geregnet hat, drückt nun die Sonne mit aller Unbarmherzigkeit auf das Zelt, welches sich rasch erhitzt und ein Weiterschlafen unmöglich macht. Mein Bruder, ein Frühaufsteher, steht schon am Gaskocher und bereitet das Frühstück vor. Zeit also auch für mich aufzustehen und mich um die Brötchen zu kümmern. Brüder teilen schließlich alles. Auch die Arbeit.
Wenig später sind wir angenehm gesättigt und hätten wir unser Zelt nicht in den Alpen, genauer in Garmisch-Partenkirchen aufgeschlagen, sondern am Meer, wäre dies jetzt der rechte Zeitpunkt sich an den Strand zu legen. Nur leider gibt es hier keinen Strand. Wir sind umgeben von über 2000 m hohen Bergen, unter anderem der Zugspitze, der Alpspitze und der Kramerspitze. Einen davon wollen wir heute besteigen. Direkt oberhalb des Zeltplatzes, nördlich des Flusses Loisach gelegen, befindet sich die Kramerspitze. Ein mit 1985m hoher Gipfel, der wie man uns versichert gut und trotz einiger ausgesetzter Stellen einfach zu erreichen sei. Nun, für den heutigen Tag ist das unsere Herausforderung.
Auf dem Weg zur Kramerspitze
Erst ein Stück die Landstraße entlang, dann in Nebenstraßen abgebogen, führt der Weg nach einem Kilometer auch schon direkt in den Aufstieg. Am Garmischer Tierheim vorbei, welches sich, wie Plakate uns überzeugen, dank geplanter Straßenführung direkt vor den Gehegen der Tiere so gar nicht auf die neue Umgehungsstraße freut, geht der Weg ab hier in einen Pfad über und fortan nur noch steil bergan. Serpentinartig angelegt gleicht die Wanderung eher einem Treppensteigen, als einem gemütlichen Wandertag. Hätte ich das gewusst, wäre ich wohl doch lieber ans Meer gefahren. Um den aufkommenden Frust noch zu komplettieren, werden wir von einer jungen Wanderin überholt, die es entweder sehr eilig hat oder einfach saugut trainiert ist. In diesem Tempo würde sie sogar noch die Geher bei der Olympiade überholen.
Nach gut 2 Stunden, der Wegweiser im Tal gab 2,5 an, also sind wir gar nicht so schlecht, erreichen wir die Stepbergalm. Idyllisch im Sattel dreier Berge auf gut 1300 Höhenmetern gelegen, bietet sie vor dem Gipfel die letzte Möglichkeit zum Pausieren. Hier treffen wir auch die junge Wanderin wieder. Nur diesmal nicht laufend, sondern in ihre Arbeit vertieft. Wie sich herausstellt ist sie nämlich die Wirtin dieser Hütte. Wir spekulieren kurz, überlegen und kommen dann zu der Erkenntnis, dass sie wohl verschlafen haben muss und es deshalb so eilig hatte. Meinen Respekt hat sie trotzdem.
Wir nutzen die Möglichkeit, wie die wenigen anderen Wanderer auch, und rasten ebenfalls. Mein Bruder gönnt sich ob des anstrengenden Aufstiegs zur Belohnung erst einmal ein bayrisches Bier und ich lausche bei einem Spezi den Gesprächen um mich herum. Nur leider verstehe ich kein einziges Wort. Langsam beginne ich zu begreifen, dass der Sammelbegriff Mundart wohl nicht nur Dialekte im herkömmlichen Sinne meint, sondern tatsächlich auf die besondere Art der Lautformung und der Lippenbewegung, die ja erst eine Sprache ermöglicht, hinweist. Anscheinend meint es mehr die Art des Mundes, Laute zu formen und ihnen einen persönlichen, regionalen oder nationalen Touch zu verleihen. Eben Mundart. Und hier in Garmisch ist das eine ganz Eigene. Vor allem aber unverständliche.
Zur Belohnung dann der Gipfel der Kramperspitze. Das Plateau, etwa 4 Meter im Quadrat, bietet Platz für das obligatorische Kreuz, eine Bank und 6 Personen, einschließlich uns. Mehr sollten es auch wirklich nicht sein, sonst besteht Absturzgefahr.
Über eine Wiese hinter der Almhütte führt der weitere Weg vorbei an Sträuchern und kniehohen Krüppelkiefern, über Geröll und Schotter hinauf, bis es nur noch wenige Kilometer bis zum eigentlichen Gipfel sind. Wir folgen dem Kamm, halten uns an angebrachten Stahlseilen, während der Blick ins Tal verrät, wie hoch wir mittlerweile sind. Meinem Bruder, der sonst eher anfällig für derartige Höhen ist, scheint das nichts auszumachen. Mir dagegen ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass ein falscher Tritt mich schneller der Tiefe näher bringen würde, als von mir gewünscht. Trotzdem bleibe ich dicht bei ihm und gehe weiter.
Auf der Kramerspitze (1.985m)
Zur Belohnung dann der Gipfel. Das Plateau, etwa 4 Meter im Quadrat, bietet Platz für das obligatorische Kreuz, eine Bank und 6 Personen, einschließlich uns. Mehr sollten es auch wirklich nicht sein, sonst besteht Absturzgefahr. Senkrecht geht es bis zu 300 Meter hinab. Wer will schon wirklich wissen, wie sich das anfühlt. Aus diesem Grunde klammere ich mich auch die ganze Zeit an das Kreuz, trage uns im Gipfelbuch ein und dränge meinen Bruder zum Weitergehen. Nein, nein, mir ist nicht schwindlig, ich habe auch keine Höhenangst. Nur Respekt vor der Tiefe. Ein Vater mit seinem 12-jährigen Sohn leistet uns auf dem Gipfel Gesellschaft und wir kommen ins Gespräch. Man müsste nochmal jung sein. Wagemutig und frei von Angst.
Rückweg von der Kramerspitze heißt auch: knapp 1.300 Höhenmeter wieder hinab
Erst auf dem Rückweg legen sich die rennenden Gedanken und das Herz schlägt wieder etwas ruhiger. Im Schein der sich senkenden Sonne kommt für einen Moment Freude auf. Übermütig laufen, ja rennen wir. Denn ab jetzt geht es nur noch bergab. Zitterten im letzten Teil des Aufstiegs die Waden, so sind es nun die Knie. Überstrapazierte, da untrainierte Muskeln verlangen nach einer Rast. Zurück an der Alm kommen wir deren Forderung gern nach und pausieren für einen Moment, bevor uns der Weg übers Gwänd zurück ins Tal führt. Etwas oberhalb Grainau‘s stoßen wir wieder auf die Garmischer Landstraße und es erklärt sich, warum eine Umgehungsstraße wirklich Sinn zu machen scheint. Es ist späte Touri-Rush-Hour und damit Stau. Ich fürchte, die Tiere und die Mitarbeiter des Tierheims werden wohl die Einzigen sein, die sich nicht über diese Straße freuen.
[…] der Maßstab und dann nochmals 8 Kilometer rundherum, das trauen wir uns zu, auch wenn den Beinen die vergangenen Tage noch anzumerken sind. Aber wir sind ja nicht kleinlich, nein Männer wollen wir sein, also heißt […]